Eine Pilgerreise auf dem Camino Francés

mit Wohnmobil, Roller und Wanderstock


 

Dritter Teil: Vom Ende der Welt zurück in unsere Welt

 

Donnerstag, 26. Juli 2007

Nachdem wir unser Schmutzwasser bei der Entsorgungsstation des Campingplatzes losgeworden sind und unseren Körpern ein erfrischendes Bad im Atlantischen Ozean gegönnt haben, geht unsere Fahrt – diesmal Richtung Osten – weiter.

Der Himmel strahlt in heiterem Blau, die Landschaft ist weiterhin friedlich ländlich, hügelig. Ich sitze an meinem Laptop und schreibe weiter an meinem Reisebericht, den ich tagelang vernachlässigt habe.

6 Kilometer hinter San Cosme de Barreiros biegen wir von der N 634 ab Richtung Meer und finden fast auf Anhieb kurz vor dem Örtchen A Rochela einen großen Parkplatz direkt am Meer, auf dem wir auch ein Plätzchen für unseren Hiram entdecken. Vor uns ist eine grüne Wiese mit steinernen Picknickbänken, knapp 100 Meter entfernt ein breiter Sandstrand, direkt vor uns eine dramatische Steilküste mit zwei vorgelagerten „Tafelbergen“, sage ich mal. Von allem etwas und darüber ein stahllauer Himmel. Traumhaft schön ist es hier!

Wir holen unsere Stühle heraus, setzen uns oberhalb der Steilküste ans Meer und genießen das herrliche Panorama. Doch kaum sitzen wir auf unserem Aussichtspunkt, ziehen Wolken auf. Ja, isset denn die Möchlichkeit!  Wir halten noch eine halbe Stunde im kühlen Wind aus, bevor wir uns zum Abendessen in unsere Gemächer zurückziehen.

Nach dem Essen sieht es draußen wieder freundlich aus, die Wolken sind weg, und die Abendsonne verspricht in Schönheit unterzugehen, Wir setzen uns auf ein Trockenmäuerchen, das die Wiese vor uns umgibt, genießen Rioja und Bier und sehen dem Sonnenuntergang philosophierend entgegen. Als die Sonne, kurz nach 10 in erwarteter Grandiosität ihren Abgang gemacht hat, tun wir es ihr nach. Wir sind immer noch sehr schlafbedürftig.

Freitag, 27. Juli 2007

Der Morgen begrüßt uns mit strahlendem Sonnenschein. Nach einem Frühstück am Meer – wir nutzen die steinernen Picknickbänke, geht unsere Fahrt auf dem Camino del Norte weiter. Zeit für Besichtigungen haben wir leider nicht, und so lassen wir Oviedo mit seiner alten Kathedrale und auch Santander links des Weges liegen und sehen zu, dass wir früh genug auf einem schönen Platz am Meer ankommen, um noch etwas vom sonnigen Tag zu haben. Die Landschaft, die wir durchfahren, könnte das Voralpenland sein, ist aber das Kantabrische Gebirge. Dramatisch der Ausblick allerdings auf die Bergkette Picos de Europa, der sich uns bei Ribadesello bietet. Hinter Santander begeben wir uns auf die Küstenstraße Ca 141, die bei Argoños wieder ans Meer kommt. Dort sind einige Campingplätze, und da müsste man doch sicher auch frei stehen können…

Eine einstündige Suche beginnt - eine wunderschöne Sightseeingtour über kleine Inselchen und viele Brücken mit herrlichen Ausblicken auf die für den Südosten des Golfs von Biscaya typischen Lagunen, aber erst mal ohne jede Chance auf einen Übernachtungsplatz. In Laredo sehen wir Hinweisschilder auf Campingplätze und entscheiden uns für den, der Aussicht auf ein bisschen Meerwasser verspricht: Camping Playa del Regalton. Siehe da, es war eine gute Wahl. Wir bekommen ein herrliches Plätzchen mit Blick auf die Lagune, direkt am Strand gelegen. Der Campingplatz ist hübsch angelegt, und es gibt Wasch- und Spülbecken und Picknickgruppen an jedem Stellplatz. Fast wie auf einem amerikanischen Campground – nur viel billiger (18 Euro/Tag).

Drei spanische Mädels und ein junges spanisches Pärchen bauen ihre Zelte neben uns auf. Die Mädels haben keinen Hammer, um die Häringe einzuschlagen – Jünni hilft. Der junge Mann hat ein funkelnagelneues Zelt von der Sorte, die sich selbst aufbaut – wir kennen die schon, Moritz hat ja auch so eins (schnell aufgebaut, aber wie zum Teufel, kriegt man sie wieder in den runden Beutel?). Erst lesen die beiden die Bedienungsanleitung, wir beobachten sie amüsiert, dann kommt der große Moment: der junge Mann verdreht das Ganze zwei- bis dreimal, und siehe da, das Zelt steht tatsächlich. Jetzt muss es nur noch im Boden verankert werden. Aha, der Bursche kratzt sich am Kopf, schaut zögernd zu uns. Wir ahnen, was kommt. Günther geht schon mal den Hammer holen. Das Mädel kommt verlegen lächelnd auf mich zu und fragt in perfektem Deutsch: „Entschuldigen Sie, hätten Sie wohl….“, „Mein Mann geht ihn schon holen“, falle ich ihr ins Wort. „Woher wissen Sie, wir sind doch zum ersten Mal hier?“ sagt sie grinsend. Auf meine Frage, wieso sie so gut Deutsch spricht, erklärt sie mir, dass ihre Mutter aus Deutschland stammt.

Nachdem wir unsere tägliche gute Tat absolviert haben, widmen wir uns unserem Abendessen, genießen einen weiteren herrlichen Sonnenuntergang (gegen 10 Uhr) und sitzen auf unserer Picknickbank, bis die Abendkühle uns ins Wohnmobil treibt.

 

Samstag, 28. Juli 2007

Wir lassen den Tag gemütlich angehen und fahren erst gegen 11.15 Uhr los. Die Landschaft, anfangs dominiert vom Kantabrischen Gebirge und dem Golf von Biscaya, auf den wir immer wieder schöne Ausblicke haben, ist wundervoll, und wir genießen die Fahrt, die uns hinter Castro-Urdiales wieder ins schöne Baskenland bringt.

An der spanisch-französischen Grenze werden Flugblätter von baskischen Nationalisten verteilt, in denen die Opfer des baskischen Freiheitskampfes aufgezählt werden. Warum zählen die denn nicht auch die vielen Opfer auf, die der sogenannte Freiheitskampf auf der „anderen Seite“ gekostet hat? Frauen, die nur über die Straße gegangen sind, um Brötchen zu kaufen, als eine ETA-Bombe hochging? Kinder, die zum Spielplatz oder zur Schule gingen und nicht mehr heimkehrten? Familienväter, die von der Arbeit heimkehrten und sich auf den Feierabend freuten? Alles Menschen, die mit Politik nichts am Hut hatten.

Als wir St.Jean-de-Luz passieren, werden Erinnerungen an unsere Frankreichreise vor über 20 Jahren wach. Hier waren wir mit den Kindern spazieren. 

Wir entdecken einen Lidl-Supermarkt und denken automatisch an unseren Womo-Freund Hardy, der bei jeder unserer gemeinsamen Reise zum Funkgerät griff, wenn er “de Lidl“ sah. Es fällt uns ein, dass wir Wein und  Croissants brauchen. Also auf zum Einkauf beim Lidl! Hinterher bringt Günther sein liebstes Bonmot: Das, was wir brauchen, kriegen wir nicht, und das, was wir kriegen, brauchen wir nicht. Stimmt! Wein haben wir zwar bekommen, Croissants nicht, und wir haben jede Menge anderen Kram gekauft, den wir nicht unbedingt brauchen.

Als wir über den Parkplatz zurück zum Womo gehen, denke ich: „Jetzt könnte Susi uns über den Weg laufen…“, denn sie ist – jedenfalls laut der letzten Nachricht von ihr – mit Moritz in Biarritz. Als wir im Womo sind, sieht Günther auf seinem Handy, dass sie angerufen hat. Der Rückruf klärt den aktuellen Standort der Beiden: Sie sind inzwischen am Mont Saint Michel. Beim Lidl hätten wir sie also nicht getroffen J.

Vor Biarritz haben wir ein Déjavue: Da ist doch die Stelle auf einer Anhöhe über dem Strand, an der wir damals mit dem Womo so herrlich standen (Foto unten)!  Bidart heißt der Ort - das hätte ich nicht mehr gewusst.

Durch Biarritz und Bayonne zieht sich eine nervende Autokolonne, aber wir wollen nicht über die Autobahn fahren. Das kostet Zeit! Am Abend sind wir in Poitiers angekommen und finden, nachdem wir die Stadt großzügig umfahren haben, hinter der Großstadt bei dem Dorf Saint-Cyr einen See mit Campingplatz. Wir sind hungrig und müde und beschließen, hier zu übernachten.

 

Sonntag, 29. Juli 2007

 

Am späten Vormittag verlassen wir den Lac du Saint-Cyr und fahren weiter auf der N 10 Richtung Nordosten auf Orléans zu. Die Landschaft ist wunderschön: Goldene Getreidefelder, sattgrüne Laubwäder, kleine Flüsse und Seen, alte malerische Ortschaften mit imposanten Kirchen, vielen Chateaus oder Burgen. Der Himmel darüber ist leider heute Morgen grau.

In Tours verlassen wir die N 10, nachdem wir die Loire-Brücke überquert haben, und fahren nun auf der N 152 entlang der Loire. Es dauert nicht lange, da taucht das erste Loire-Schloss auf, und wir beschließen: Wo Könige gefeiert und gespeist haben, ist es gerade gut genug für unser Mittagspäuschen. Mit Blick auf das Château d'Amboise (3. Foto von links) nehmen wir unser karges Mahl ein: Eis und Obst – Vorspeise und Hauptgericht folgen später. Während wir das vorgezogene Dessert genießen, liest Günther mir vor, was es auf der anderen Loireseite zu sehen gibt. - Das immer noch immens große Schloss war früher viermal so groß und gehört zu den Glanzstücken der Loireschlösser. Viele Könige feierten hier rauschende Feste – wie ich vorher schon richtig vermutet hatte.

Wenige Kilometer weiter entdecken wir das nächste, aber weitaus bescheidenere Schloss in Chaumont-sur-Loire (2. Foto von rechts).

Hier an der Loire gibt es viele Wohnmobilstellplätze, wie wir wohlwollend feststellen. Der Gedanke, mal eine Womotour entlang dieses mit Schlössern dekorierten Flusses zu machen, verfestigt sich… Das Loiretal und auch die Ile-de-France (die wir anschließend durchfahren) mit ihren gepflegten altehrwürdigen Ortschaften und ihrer lieblichen Landschaft sind wirklich eine Reise wert.

Am Abend fahren wir einige Kilometer westlich von Reims von der Autobahn ab und übernachten am Rande eines Feldweges, der inmitten von Weizenfeldern an einem kleinen See liegt.

 

Montag, 30. Juli 2007

Bei strahlendem Sonnenschein setzen wir unsere Heimfahrt – über Luxemburg - fort.

In Wasserbillig an der Mosel, wo wir eine Mittagspause machen wollen, erleben wir dann zum Urlaubsabschluss noch eine Räuberpistole. Als wir am Moselufer ankommen, sieht Günther bei der Fährrampe auf am anderen Ufer zwei Polizeiwagen stehen. Genüsslich unser auch heute „vorgezogenes Dessert“ löffelnd, beobachte ich, wie zwei Polizeibeamte „etwas“ aus dem Moselwasser ziehen. Das Etwas entpuppt sich als ein Mann, der zunächst leblos wirkt. Entsetzt vermuten wir, dass der Mann ertrunken ist, doch als die Männer ihn auf der Fähre niederlegen, bewegt er sich und erhebt sich schließlich. Gott sei Dank, denken wir. Und dann wird’s krimireif. Die Polizisten legen dem Mann Handschellen an , tasten ihn nach Waffen ab und führen ihn ab. Anschließend wird im Wasser mit langen Stangen nach etwas gesucht, bis die Männer schließlich fündig werden. Etwas Schwarzes hängt an ihrem Haken. Wir spekulieren wild: Der Mann hat eine Bank überfallen, war auf der Flucht (das schwarze Etwas war dann natürlich ein Revolver oder aber eine schwarze Strumpfmaske), der Mann hat Rauschgift geschmuggelt (das schwarze Ding war ein Paket mit Stoff)… Eins ist jetzt schon klar: Morgen surfe ich zur Internetseite des Trierer Volksboten!

Entlang der schönen – heute tatsächlich blauen – Mosel fahren wir dann nach Hause.

Diese Reise wird noch lange in uns nachklingen. Gestern Abend haben wir uns die letzte CD von Hape Kerkelings Hörbuch angehört und noch lange darüber gesprochen, was diese Pilgerwanderung für uns bedeutet hat. Hat der Jakobsweg unseren Lebensweg verändert? Wir denken, ja. Er hat manche Verhärtung in uns aufgeweicht, viele Fragen aufgeworfen, denen wir uns lange nicht stellen wollten, und er hat uns beiden wieder einmal gezeigt, dass wir zueinander gehören. Es heißt, man soll den Weg alleine pilgern, aber für uns war der Camino eine gemeinsame Erfahrung, die uns noch mehr verbindet.


In unserer Seele atmet die Sehnsucht. Sie macht unser Herz weit.

Sehnsucht ist der Anfang von allem.

Folge deinem Stern und höre auf dein eigenes Herz.

Wer auf die Stimme seines eigenen Herzens hört, dessen Leben wird sich verwandeln.

Anselm Grün