Polens Nordwesten - Vierter Teil

Beldany-See - Nikolaiken - Steinort - Rastenburg (Wolfsschanze) - Swieta Lipka (Barockkirche) - Jezioro Juno



 

1. September 2004 

Am Morgen gehen die Frauen in die Pilze.  Der Wald ist nicht weit entfernt und verspricht gute Beute für eifrige Pilzsammlerinnen. Von Christel lernen wir, welche Pilze man nicht nur einmal essen kann. Nun fühle ich mich schon beinahe als Expertin, immerhin erkenne ich vier verschiedene essbare Waldpilze nun so sicher, dass ich es wagen würde, sie selbst zu essen.

 

Am Mittag bereiten wir eine gemeinsame Pilzmahlzeit und schwelgen im Genuss von Stein-, Butter-  und Maronenpilzen und einigen wenigen Pfifferlingen.

Heute Nachmittag ist der Besuch eines Gestüts in Gułkowo und eine Kutschfahrt geplant. Wir schwingen uns auf unsere Roller und erreichen das kleine Dorf in einer  guten Viertelstunde. Das Gestüt ist nicht zu verfehlen, es liegt an der einzigen Straße des Ortes.

Eine junge Frau, die ein gutes Englisch spricht, informiert uns über den Preis der Kutschfahrt (10 Zl je Person und Stunde). Es wird etwa 30 Minuten dauern, bis die Pferde angespannt sind, und so können wir noch etwas trinken. Im Gebäudekomplex des Gutes befindet sich auch ein sehr hübsches Restaurant mit einer äußerst ansprechenden Speisekarte. Was die im Garten sitzenden Gäste auf ihren Tellern haben, lässt bei unserem Hardy das Wasser im Mund zusammen laufen. Han die hier Schnitzel! Schade, dass wir mittags schon etwas gegessen haben! Ein Portiönchen Waldbeeren mit Sahne (Hochgenuss!!!) passt aber bei einigen von uns doch noch hinein...

Nachdem wir uns solchermaßen die Wartezeit versüßt haben, besteigen wir unseren Kutschwagen. Franca hat fortan ein seliges Lächeln im Gesicht und versteht sich auch ohne Worte gleich bestens mit dem Kutscher. Das linke Pferd hat es ihr besonders angetan, es hat augenscheinlich einen ausgeprägten eigenen Willen. Ich schaue nachdenklich auf die beiden gewaltigen Pferdehintern und ermahne Günther, mich darauf hinzuweisen, wenn mein Hinterteil nach dieser Reise ähnliche Ausmaße haben sollte.

Unser Kutscher schlägt bald schon einen Weg in den Wald ein. Von nun an hört man Christel alle paar Minuten juchzen „Piiilze“ – nur mit Gewalt kann man sie daran hindern, sich vom Wagen in die Piiilze zu stürzen.  

Nach 1 ½ Stunden Waldtournee kommen  wir wieder am Gestüt an. Ein kleiner Rundgang durch die Stallungen lässt Francas Herzchen erneut höher schlagen. Hübsche Pferdchen stehen da, auch wenn es leider keine Trakehner sind.

Am Abend sitzen alle ums lodernde Lagerfeuer, das unser Campingpatrone für uns gerichtet hat. Es gibt leckere Würstchen, die wir an langen Spießen im Feuer rösten, auch Getränke hat Herr Kruska bereit gestellt. Zu uns gesellt sich noch ein Münchner Ehepaar (sie aus Westpreußen gebürtig), 3 Mecklenburger und ein weiß-ich-nicht-mehr-so-genau-woher-kommender Ostpreuße.

Die Rentnerband (Gabi an der Melodie-, Hardy an der Bassgitarre) begleitet den wunderbaren Lagerfeuerchor. Jeder singt ein Liedchen aus seiner Heimat, keiner ziert sich. Nur unser Patrone hört lieber zu.

Es ist ein herrlich stimmungsvoller Abend, den alle genießen.

Der Mond geht in leuchtendem Rotgold über dem Beldany See auf.

2. September 2004

 

Eigentlich wollten wir heute eine Schiffstour auf dem Jezioro Nida machen, der einer der schönsten masurischen Seen sein soll, aber das Wetter ist so herrlich, dass die meisten von uns den Tag lieber anders nutzen wollen. Günther und ich möchten auf dem Platz bleiben, im See schwimmen und ein bisschen „brasseln“ oder lesen. Ich fabriziere einen Edel-Gürtel mit Swarowski-Steinen für Susi und lege vorletzte Hand an die Slalom-Redaktion. Günther genießt den Sonnenschein lesend und dösend, macht später noch eine kurze Roller-Tour. Die anderen fahren morgens zum Einkaufen nach Ruciane-Nida, Christel und Peter erkunden am Nachmittag den hübschen Ort Nikolaiken (Mikołajki).

Morgenstimmung am Jezioro Beldany

Abendstimmung am Jezioro Beldany

3. September 2004

 

On the road again. Wir fahren über Nikolaiken (Mikołajki) und Lötzen (Gizycko) nach Steinort (Sztynar Duzy), von dort nach Rastenburg (Ketrzyn), wo in 8 km Entfernung die Ruine des ehemaligen Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ zu besichtigen sind. Den nächsten Stopp machen wir bei der Wallfahrtkirche Swieta Lipka und fahren von dort zu unserem nächsten Campingplatz am Juno See.

Route 7  138,4 Kilometer

Beldany-See - Nikolaiken - Steinort - Rastenburg (Wolfsschanze) - Swieta Lipka (Barockkirche) - Jezioro Juno


In Nikolaiken machen wir einen kleinen Zwischenstopp, und die Frauen flitzen zu einem  Juwelier, den Christel  gestern entdeckt hat, und statten diesem einen kurzen, aber für beide Seiten erfolgreichen, Besuch ab.

Nikolaiken liegt im Herzen der masurischen Seenplatte und ist mit seinem großen Yachthafen das Eldorado der Wassersportler. Sehenswertes gibt es dort eher nicht (eventuell noch eine Pfarrkirche aus dem 19. Jh.), aber ein Bummel am Hafen und eine Shoppingtour lohnen sich, denn es gibt nette Lokale und einige schöne Geschäfte in Nikolaiken.

   



Fotos oben: Nikolaiken


Wenig später durchqueren wir Lötzen (Gizycko), das ebenfalls eine quirlige Stadt mit viel Tourismus ist.

Lötzen (Gizycko) - Eine Perle der Region Masuren ist Gizycko (Lötzen), eine Stadt, die genau in ihrer Mitte liegt, an einem schmalen Landstreifen zwischen zwei flächenmäßig großen Seen, Niegocin (Löwentinsee) und Kisajno (Kissainsee). Die beiden Gewässer sind eine echte Zierde des Lötzener Landes: die ausgedehnte Wasserfläche von Löwentinsee, dem siebtgrößten See Polens, ist eine Wonne für Wassersportler, und der Kissainsee entzückt durch die Unmenge von kleinen Inseln, die meistens Naturschutzgebiete sind. Außerdem befinden sich innerhalb der Stadtgrenzen noch zwei weitere Seen: Popowka Duza (Groß-Popowka) und Mala (Klein-Popowka).

Die Stadtgeschichte reicht bis zu den Anfängen des 14. Jahrhunderts, als der Deutsche Orden1340 ein Schloss errichtete, das sich auf der strategischen Landzunge zwischen dem Löwentin- und Kissainsee befindet. Das Schloss erhielt bald den Namen Lötzen und gehörte zur Kette von Grenzburgen, die zur Wehr und Vorbereitung von bewaffneten Übergriffen gegen die Litauer erbaut wurde. Bis zum heutigen Tage ist ein Flügel des einstigen Schlosses, mehrmals umgebaut, erhalten. Mitte des 15. Jahrhunderts begann eine Siedlung am Schloss zu entstehen, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit einer Urkunde zur Stadt erhoben wurde. Das komplette Stadtrecht erhielt Lötzen, zusammen mit Wappen und Siegel, erst im Jahre 1612. Im Jahre 1820 wurde Lötzen zur Kreisstadt. Einige Jahre später wurde in der Stadtmitte die evangelische Pfarrkirche nach dem Entwurf des großen Architekten Karl Friedrich Schinkel errichtet.

Spektakulär, nämlich im Handbetrieb, funktioniert die Drehbrücke am Lötzener Kanal, einem interessanten Objekt aus der zweiten Hälfte des 19- Jahrhunderts. Sie ist der einzige Bau dieser Art in Polen und einer von zwei in Europa. Sehenswert sind ebenfalls einige Bürgerhäuser aus der Jahrhundertwende. Der charakteristische, von weitem sichtbare Punkt der Stadt ist der Wasserturm aus dem 19 Jahrhundert.


 

Das nächste Ziel unserer Tagesreise ist Steinort, der frühere Stammsitz der Familie Lehndorff. Die anderen haben sich von diesem Programmpunkt absentiert und sind gleich weiter zu unserem nächsten Ziel, der Wolfsschanze, dem ehemaligen Führerhauptquartier in Rastenburg (Ketrzyn), gefahren. Das Geschichtsinteresse bei unseren Freunden ist - einmal abgesehen von Franca, die gesundheitlich bedingt von Peter abhängig ist - eher schwach ausgeprägt. Die Wolfsschanze ist jedoch spektakulär genug für eine Besichtigung.

Steinort (Sztynort)

Seit Beginn des 16. Jh. war die Ortschaft im Besitz der Familie Lehndorf, die aus der Gegend von Königsberg stammte. Das Schloss der Grafen Lehndorf - im Jahre 1600 errichtet - ging während des Tatareneinfalls 1656 in Flammen auf. Gräfin Marie Eleonore Hinter dem Schloss lag einst ein schöner Park, in dem - der Familientradition entsprechend - nach der Geburt eines jeden Kindes eine Eiche gepflanzt wurde. In diesem heute verwilderten Park sind noch ein klassizistischer Gartenpavillon (18./19. Jh.), eine neugotische Kapelle (19. Jh.), ein Jagdhaus und Wirtschaftsgebäude erhalten geblieben.

Hinter dem Schloss lag einst ein schöner Park, in dem - der Familientradition entsprechend - nach der Geburt eines jeden Kindes eine Eiche gepflanzt wurde. In diesem heute verwilderten Park sind noch ein klassizistischer Gartenpavillon (18./19. Jh.), eine neugotische Kapelle (19. Jh.), ein Jagdhaus und Wirtschaftsgebäude erhalten geblieben.

Seit dem 18. Jh. traten Mitglieder der Familie in den Staatsdienst, wodurch sie zur Führungsschicht im Lande gehörten.

Der letzte Besitzer, Heinrich Graf von Lehndorf, heiratete 1937 Gottliebe Gräfin Kalnein. Während des Zweiten Weltkrieges schloß er sich der Widerstandsbewegung gegen Hitler an. Nach dem Scheitern des Attentats am 20. Juli 1944 wurde Heinrich Graf von Lehndorf nach Königsberg, später nach Berlin transportiert und seine gesamte Familie verhaftet. Er kam vor Freislers Volksgerichtshof, legte ein Geständnis ab und wurde am 4. September 1944 in Plötzensee hingerichtet. Sein Gut wurde 1944 als Feldquartier für Außenminister von Ribbentrop requiriert.

Längere Zeit nach 1945 war im Schloss die Verwaltung eines staatlichen Landwirtschaftsbetriebes untergebracht. Jetzt ist es Eigentum der Gemeinde Angerburg. Das Schloss kann nur von außen besichtigt werden. Es ist stark verfallen, aber beim rechten Flügel hat man mit Sanierungsarbeiten begonnen, und so kann man hoffen, dass es eines Tages wieder etwas von seinem alten Glanz zurück erhalten wird.

Die Schlossanlage der Familie Lehndorff liegt in herrlicher Lage am See und vermittelt noch immer einen Eindruck früherer Pracht. Im Park stehen über 300 Jahre alte Eichen. Über dem Schloss braut sich gerade ein größeres Unwetter auf, als wir dort ankommen. So begnügen wir uns mit einem kleinen Rundgang durch die großzügige Anlage mit Wirtschaftsgebäuden und Stallungen und werfen einen gedankenverlorenen Blick auf den Balkon von dem Heinrich Graf von lehndorf sprang, als die Gestapo ihn verhaften wollte. In Masuren begegnet uns auf Schritt und Tritt die schicksalhafte deutsche Vergangenheit.

 Eichen

Unsere Weiterfahrt Richtung Rastenburg beginnt mit einer wunderschönen Allee von uralten Eichen - es heißt, es wäre die schönste Masurens. Unsere Freunde haben heute einen sehr romantischen Teil Masurens verpasst...

Die Bunkerruinen des ehemaligen Führerhauptquartieres liegen etwa 8 km von Rastenburg entfernt. Günther und ich haben die Ruinen bereits vor 10 Jahren besichtigt und verzichten diesmal auf den Rundgang. So heiß sind wir auf die böse Seite der Nazizeit nicht. Auf dem Parkplatz vor dem in ein Flächenmuseum umgewandelten Gelände wollen wir uns wieder treffen, was sich für uns jedoch dann nicht anbietet, da man mit der Parkgebühr auch gleichzeitig den Eintritt entrichten muss. Wir warten also eine Zeit lang am Straßenrand vor dem Parkplatz, bis sich zu unserem Erstaunen herausstellt, dass unsere Freunde schon von der Besichtigung zurückgekehrt sind und ebenfalls in den Womos warten.

Wolfsschanze (8 km von Rastenburg entfernt)

Im Wald befinden sich auf einer Fläche von 2,5 qkm Ruinen des Führerhauptquartiers der Wolfsschanze. Gebaut wurde sie in den Jahren 1940 bis 1944 nach einem Entwurf des Stabes der Organisation Todt. Ausgewiesen war sie als eine Baustelle der Askania-Werke.

Verantwortlich für den Bau war Ing. Behrens. Die Wolfsschanze war von einem Minengürtel umgeben. Die Minen in Holz- und Porzellanbehältern waren schwer zu entdecken. (Nach dem Krieg wurden 55000 Minen entschärft). Mehrere Flak-Stellungen sollten vor Fliegerangriffen schützen. Der Zutritt zum Führerhauptquartier wurde sorgfältig bewacht und durch drei Sperrkreise abgeschirmt. Die Wolfsschanze hatte ein eigenes Bahngleis mit getarntem Bahnhof, Elektroturbinen, direkte Femmeldeverbindungen mit Berlin sowie mit den wichtigsten Stellen an den Fronten. Alle Wege und Pfade sowie die kleinsten unbewaldeten Stellen zwischen den Bunkern waren mit Tarnnetzen überspannt, die der Jahreszeit entsprechend ausgewechselt wurden. In der Nähe befand sich ein kleiner Flugplatz. Insgesamt wurden 70 verschiedene Objekte gebaut; sieben starke Bunker hatten sechs und acht Meter starke Decken. Im Krieg hielt sich Hitler oft in der Wolfsschanze auf. Hier fand am 20. Juli 1944 das missglückte Attentat auf ihn statt. Am 20. November 1944 verließ Hitler die Wolfsschanze. Die Bunker übernahm der Stab der IV. Feldarmee von General Hoßbach. Am 24. Januar 1945 wurden sie von der sich nach Westen zurückziehenden Wehrmacht gesprengt.

An der Stelle des missglückten Attentats brachte man am 20. Juli 1992 eine Gedenktafel an. Der Text - auf polnisch und deutsch - lautet:

„Hier stand die Baracke, in der am 20. Juli 1944 Claus Schenk Graf von Stauffenberg ein Attentat auf Adolf Hitler unternahm.

Er und viele andere, die sich gegen die nationalsozialistische Diktatur erhoben hatten, bezahlten mit ihrem Leben.“

 

Nach dieser, für unsere Freunde eher  bedrückenden Besichtigung, ist unser nächstes Tagesziel, der Wallfahrtsort Heiligelinde (Swieta Lipka) mit seiner eindrucksvollen Barockkirche, sicher Balsam für die Seele.

Oberhalb der Wallfahrtskirche finden wir einen großen Parkplatz, wo wir auch unsere Riesenwomos problemlos parken können. Bis zur Kirche muss man nur einen kurzen Fußweg zurücklegen.

Swieta Lipka ist ein kleines Dorf, welches 14 km von Ketrzyn Richtung Reszel liegt. Dessen Sehenswürdigkeit ist die schöne, barocke Basilika. Die Geschichte der Stelle, auf der die heutige Basilika steht, beginnt im XIV. Jahrhundert: 

"Einem im Gefängnis sitzenden Verbrecher erschien in der Nacht vor der Verhandlung die Mutter Gottes. Von ihr bekam er ein Stück Holz, aus dem er über Nacht ihr Abbild schnitzte. Als er das Bild am nächsten Tag den Richtern zeigte, sprachen diese ihn frei, da sie den Segen Marias sahen. Auf dem Weg nach Reszel ließ er das Holzstück an einer Linde, wo die heutige Basilika steht. Kurze Zeit später ereigneten sich an dieser Stelle zahlreiche Wunder, was dazu führte, dass an der Linde eine Kapelle errichtet wurde." 

Sw. Lipka ist ein Wallfahrtsort zahlreicher Pilgerfahrten geworden. Die Kapelle wurde 1631 Jesuiten übergeben. Der Bau der heutigen Basilika wurde im Jahre 1687 begonnen und dauerte bis 1693. Die Kirche wurde erst durch Johannes Paul II. im Jahre 1983 zur Basilika geweiht. Die Orgel wurde 1721 durch Jan Josua Mosengel erbaut und ist heute noch voll funktionsfähig. 

Ihr barockes Erscheinungsbild, das den Ostpreußenreisenden angesichts der vielen Backsteinkirchen völlig überrascht, verdankt die Kirche dem aus Tirol stammenden Architekten Georg Ertly, der die Basilika in den Jahren 1687-93 erbaute.

er Innenraum der Kirche ist ein Meisterwerk des barocken Illusionismus: Eine bemalte Scheinkuppel im Gewölbe, der edle Marmor der Pilaster, ebenso wie die Kanneluren darauf sind geschickte Malerarbeit und dreidimensional auf Holzplatten gemalte Engelchen schweben unter dem Gewölbe.

Die Mittelszene der Deckenfresken zeigt die Verherrlichung Mariens. Ein Abbild ihres Malers sehen wir in himmelblauer Weste  und mit Pinsel in der Hand neben der Orgel.

Die Seitenwände der Kirche zeigen naive Darstellungen der Wunder, die sich hier ereignet haben sollen. Beachtenswert sind auch die Nachbildung einer Linde aus Metall mit einer Muttergottesskulptur (1728) und der barocke Hauptaltar (1712-14) mit einem Gnadenbild (1640) (hinter dem Altar gibt es ein absolutes Muss für die großen Sünder unter uns: eine Darstellung des Fegefeuers!).

Die Orgel hat eine kleine Attraktion zu bieten: Am Ende jeder Vorführung wird zu einer schwermütigen Melodie, die – wie könnte es in diesem Lande anders sein,  den Abschied von der Heimat (nach einem Aufstand im 18. Jh.) zum Thema hat, ein barockes Spektakel in Gang gesetzt: Die Figuren der Orgel erwachen zum Leben, Sterne drehen sich, Engel traktieren ihre Instrumente und der Erzengel Gabriel, mein lieber Namenspatron, verneigt sich vor Maria, die ihm huldvoll mit einem Kopfnicken die Zustimmung gibt für sein ziemlich heftiges Ansinnen, die Mutter Gottes zu werden. 

Die Basilika ist umgeben von einem Mauerviereck mit Laubengängen, das kunstvoll geschmiedete grüne Eingangstor (1734) ist das Werk eines Schmiedes aus Reszel.

Nun geht’s weiter zum schönen, hoch über dem Juno See gelegenen Campingplatz Mazur Natur. Die Sträßchen sind schmal und holprig und zum Schluss, rechts der Straße einem Hinweis auf einem Findling (später "Stein des Anstoßes" genannt) folgend, wird’s ganz plümerant. Günther fährt unseren Hiram mit viel Schmackes den ziemlich ausgewaschenen steilen Weg hoch, aber alle anderen bleiben hier hängen. Rien ne va plus! Ich gebe zu bedenken, dass wir damals anders gefahren sind, eine solch steile Anfahrt hatten wir gar nicht, aber Günther kann sich nicht daran erinnern. Aufmunternd ruft mein Fahrzeugchef durch unser Walki-Talkie: "Anlauf nehmen und durch!" - Dieser Zuruf  sollte sich als Fehler erweisen - man (frau noch mehr) hat ihn uns (mir interessanterweise am meisten!) äußerst übel genommen. Günther meint, die anderen erschlagen uns... Ich gebe ihm Recht und bitte ihn, anzuhalten und auf die anderen zu warten, aber er meint, es mache mehr Sinn, die paar Meter zum Campingplatz weiterzufahren und Herrn Brand, den Campingplatzchef, zu Hilfe zu holen.

Als Günther und ich auf dem Campingplatz ankommen, werden wir von Herrn Brand freudig begrüßt. Wir erfahren, dass es über Mragowo noch eine andere, viel bequemere Zufahrt zum Campingplatz gibt. Alles klar, das war der Weg, den wir damals gefahren sind. Aber es sind 10 Jahre vergangen, und Irren ist bekanntermaßen menschlich.

Herr Brand fährt mit Günther in seinem Auto zur „Absturzstelle“  und versucht die erhitzten Gemüter zu beruhigen (mit sehr mäßigem Erfolg, wie er mir später verrät - eine Frau habe geschrien wie eine Furie...). Während die anderen nun also alle über Mragowo fahren, stehen wir auf luftiger Höhe und erwarten sie. Ich mach es kurz und nenne die Begrüßung "heftig“ und angesichts des Tatsache, dass alle Autos heil angekommen sind, überzogen. Diese Truppe vergisst, dass sie uns für unsere - obendrein unfreiwillige (wir hatten keine Ahnung, dass die anderen nicht einmal Kartenmaterial dabei hatten) - "Reiseführung" ja nicht bezahlt. Wir sind kein professionelles Reiseunternehmen, das Touren vorher abfährt, damit es keine Unwägbarkeiten gibt. Ich bin tief getroffen von der unfairen und undankbaren Reaktion unserer Womokollegen, die sich bisher außer ums eigene leibliche Wohl, sprich Essen und Trinken, um nichts gekümmert haben.

Wir freuen uns über Elly, die angesichts der versammelten Gruppenhysterie wirklich Zivilcourage zeigt, als sie mich in den Arm nimmt und tröstend meint, es wäre ja alles gut gegangen und hier oben über dem Junosee wäre es einfach traumhaft schön. Das vergesse ich ihr niemals. Immerhin war Elly und Hans mit ihrem Dickschiff die Anfahrt schwieriger als für die beiden, die sich hier am meisten empören. In solchen Situationen zeigt es sich, wer soziale Kompetenz und Gerechtigkeitssinn besitzt.

Am Abend, den wir ohne die anderen verbringen, weil ihr Anblick uns Bauchweh macht, erleide ich zwei vernichtende Scrabble-Niederlagen gegen Günther – es gibt Tage, da sollte man morgens besser im Bett bleiben!

4. September 2004

Nach morgendlichen erneuten Wortgefechten (ungläubiges Staunen unsererseits über Menschen, die wir gut zu kennen glaubten) ist heute eine - vom psychologischen und gruppenpolitischen Standpunkt aus gesehen - durchaus vernünftige Funkstille zwischen den Empörten und den Beschimpften eingetreten, die den positiven Nebeneffekt hat, dass ich nun meine lästige Redaktionsarbeit für den Slalom endlich komplett fertig gestellt habe. Das Wetter, heute Morgen noch der Stimmung entsprechend eher verhangen, ist am Nachmittag wunderschön geworden. Günther und ich spazieren zum Seeufer hinunter (ca. 100 m). Der See lädt zum Baden ein, aber wir werden das auf morgen verschieben.

Am Abend trinken Günther und ich einen Schoppen in der gemütlichen Gaststube des Campingplatzes. Herr Brand gesellt sich zu uns und erzählt uns von seinem Leben in Masuren und den oft anrührenden Begegnungen mit Menschen, die hierher kommen auf der Suche nach ihren Wurzeln. Es ist ein wirklich schönes und interessantes Gespräch; der Abend mit unserem alten Bekannten und die Funkstille tun uns ausgesprochen gut. Unsere Kollegen, bis auf Elly und Hans, stehen draußen am Grillplatz und bemühen sich, gute Stimmung zu demonstrieren. Es amüsiert uns.

 

 

 

5. September 2004

Heute ist Sonntag. Günther und ich wollen darum noch einmal nach Swieta Lipka in der Hoffnung, die Orgel der Kirche in  Aktion zu erleben. 

Als wir gegen 12 Uhr an der Kirche ankommen, ist dort gerade ein feierliches Hochamt im Gange. Die Kirche ist überfüllt, aber wir ergattern noch ein Plätzchen. Ich sehe nicht viel – nur die Orgel von unten und kann darum mit Gewissheit behaupten, dass die Figuren sich heute nicht bewegen.  

„Auf dem Altar steht ein Kuchen“, flüstert mein Liebster, der dank seiner Länge eine gute Rundumsicht genießt. Später wird uns klar, dass das nicht etwa die Brotzeit für den Pastor war – hier wird vielmehr das Erntedankfest gefeiert. Die feierliche Messe endet mit einer sehenswerten Prozession, bei der Erntekronen aus Stroh, Madonnenfiguren und reich bestickte bunte Fahnen mitgeführt werden. 

 

Nachdem wir etwas für unser Seelenheil getan haben, wollen wir auch dem Körper etwas Gutes tun, indem wir ihm ein leckeres Mittagessen gönnen. Gleich gegenüber der Wallfahrtskirche ist ein hübsches Restaurant, auf dessen Terrasse wir uns an Schlei in einer unanständig leckeren Sahnesoße und einem – wie Günther genießerisch erklärt, phantastisch guten Cordon Bleu.

Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen...

Am Nachmittag sind wir wieder auf dem Platz, wo wir bei einem von Pierre gestifteten Friedenssekt  das Kriegsbeil begraben. Wohl ist uns nicht dabei, wir befürchten, dass es nur ein Scheinfrieden ist... Mit "Schwamm drüber" ist dieses Debakel, denk' ich mir, nicht aus der Welt zu schaffen. Da geht's um Grundsätzliches. In der ganzen Konstellation dieser Reise stecken tiefgreifende Fehler. Solch eine Reise erfordert ein gewisses Maß an Selbstverantwortung und an Willen, sich mit einem Reiseland und seinen Gegebenheiten sowohl im Vorfeld als auch während der Reise aktiv auseinander zu setzen. Wenn man nur auf einer platten grünen Wiese vom Ausmaß eines Womo-Stellplatzes in Klüsserath an der Mosel stehen, gut essen und trinken und miteinander schwätzen will, dann sollte man nicht in eine solche Landschaft mit der entsprechend einfachen Infrastruktur und einem nicht immer autobahnmäßigen Straßennetz fahren.

Die Diskussion über diese Problematik wird nicht geführt. Man macht auf Friede, Freude, Eierkuchen...

 

Für den Abend haben wir bei Herrn Brand ein Fischessen (Zander in Dillsoße) bestellt. In wieder gewonnener (Sch)Einträchtigkeit genießen alle das leckere Friedensmahl. Herr Brand gibt uns eine Runde Bärenfang aus, denn auch er ist froh, dass der Streit wegen seines Zufahrtswegs beigelegt ist. Wir danken ihm auf unsere Art mit einem „Günter, wir danken dir für diese Runde hier“ und unserem schon obligatorischen „Langsam kommt der Rausch“. Ich stelle insgeheim fest, dass mir alle Günters dieser Welt, ob mit oder ohne "h", bisher sympathisch waren.

Die Irrungen und Wirrungen der letzten beide Tage werden unter Alkoholeinfluss ansatzweise verbal behandelt und mit einigen Promillen im Blut (natürlich nur, wenn man den Alkoholgehalt aller RMC-ler addiert), wandern wir zu vorgeschrittener Stunde zu unseren Womos.

Günther ist schon etwas früher ins Bett gegangen und schläft schon, als ich fröhlich lärmend heim komme und mich entblättere. „Hast du auch alle deine Sachen mitgebracht?“, fragt er – sein Weib besser kennend als sich selbst und erst recht als das Weib sich selbst. Mühsam rekapituliere ich ... Fotoapparat, ja, .... Handy? O jeh. Also ziehe ich mich wieder an und schwanke, nein, laufe zurück zur Kneipe. Dort sitzt die Wirtin Barbara noch mit einem Gast an der Theke und schwenkt schon mein Handy. „Trinken Sie noch ein Glas Wein mit uns?“ – Hätte sie doch geschwiegen! Ich trinke noch ein Glas und vertiefe mich so in eine lustige Konversation, dass mir gar nicht der Gedanke kommt, mein Liebster könnte mich vermissen. Irgendwann stapft er an, sieht unzufrieden aus, wird auch auf ein Glas eingeladen, will aber nicht (ich kann es in meiner fröhlichen Umnebelung gar nicht verstehen) und zieht wieder ab. Um 1.30 Uhr mache ich mich dann guter Dinge erneut auf den Heimweg.

6. September 2004

Am Morgen ist die Stimmung bei uns, vorsichtig gesagt, gereizt. Ohne den Nebel in meinem Schädel kann ich es verstehen, dass mein Günther sauer ist. Ich reiße ihn aus dem ersten Tiefschlaf, verschwinde, um mein Handy 10 m weiter zu holen, lasse im Womo eine Festbeleuchtung an und werde anderthalb Stunden nicht mehr gesehen. Tiefe Reue im Herzen, beiße ich trotzdem mit Appetit in die leckeren Brötchen, die man am Morgen auf dem Campingplatz in einem Brotkörbchen bekommt. Ich erinnere mich, dass in dem Spiegel-Artikel, der uns vor 10 Jahren auf diesen schönen Platz aufmerksam machte, zu lesen war, Herr Brand wäre in seinem ersten Leben Bäcker gewesen und hätte der polnischen Bäckerei in Polska Wies erst einmal beigebracht, wie man leckere Brötchen backt.

 

Nach dem Frühstück nehmen wir Abschied von diesem schönen Fleckchen Erde. Herr Brand spielt Günther und mir zum Abschied noch einmal das Ostpreußenlied vor. Nun können wir es singen und fühlen uns fast wie Ostpreußen.

Etwas wehmütig nehmen wir Abschied von diesem schönen Fleckchen Erde, wir haben uns hier wohl gefühlt - abgesehen von dem Zwist in der Truppe, der auf der Weiterfahrt immer noch unsere Konversation bestimmt. Frau Brand hat mir am gestrigen Abend erzählt, dass diese "schreckliche Frau mit der schrillen Stimme" ständig von mir als "dieser Lehrerin" gesprochen hätte. Irgendetwas in mir sagt mir, dass wir es hier nicht "wahrer Freundschaft, die nicht wanket" zu tun haben. Es schmerzt. Solche Gruppentouren sind gefährlich.

Die anderen fahren gleich Richtung Allenstein, weil sie nicht mit zum Kloster Springborn und nach Heilsberg wollen. Ulla hatte ursprünglich mit uns fahren wollen, aber sie schließt sich nun doch lieber der großen Gruppe an... Günther und ich fahren also ohne unseren „Anhang“ und ohne das ständige im Funk ertönende "die Bären stehen bei..." ganz entspannt durch eine Traumlandschaft. – Lichte Wälder (am schönsten finde ich die kleinen Birkenwälder), goldene Felder, die zum Teil gerade erst abgeerntet werden, verschlafene Dörfer, immer wieder in der strahlenden Sonne blitzende blaue Seen. Balsam für die traurige Seele, denke ich bei mir und genieße.

 

Route 8  127,8 Kilometer

Juno-See - Springborn - Heilsberg - Allenstein - Ukiel See

Kloster Stoczek

Als wir am Kloster Springborn (Stoczek) ankommen, ist es fast Mittag. Wir wollen hier unser „Päterchen“ besuchen, mit dem wir seit 10 Jahren einen netten Briefkontakt haben. Hoffentlich ist Pater Bonifazius jetzt nicht zum Essen im Refektorium! Drei große Reisebusse stehen auf dem Parkplatz vor dem barocken Klostergebäude. Beim Betreten des Klosters kommt uns eine riesige Pilgergruppe aus der kleinen Wallfahrtskirche entgegen. Unter Führung eines Paters besichtigen sie gerade das Kloster. Wie sich herausstellt, ist der energische kleine  Schwarzrock an der Spitze der frommen Truppe „unser Päterchen", der gerade die Geschichte der Klosterglocken erzählt.

Der Ort Springborn liegt 11 km östlich von Heilsberg / Lidzbark Warminski. 1349 wurde Springborn durch den ermländischen Bischof Hermann von Prag gegründet, der deutsche Name verweist auf eine Quelle an diesem Ort. Durch die Jahrhunderte wurde dieser Name auch auf Maria als die Quelle des Friedens gedeutet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Springborn polnisch und erhielt Namen Stoczek. 

Hinweise für die Verehrung Mariens an diesem Ort sind schon im Mittelalter zu finden. "Zur allerseligsten Jungfrau von den Quellen" wurde dieser Ort genannt, noch bevor zwei Kinder bei der Heuernte eine Marienfigur entdeckten. Der Legende nach fanden zwei Mädchen eine kleine Statue der Gottesmutter aus Elfenbein in einem hohlen Baum in der Nähe des Dorfes Springborn. Die Bewohner des Ortes freuten sich über die wertvolle Elfenbeinfigur und wollten ihr im Dorf eine Kapelle bauen. Doch am nächsten Tag war die Figur verschwunden und man fand sie wieder in der Baumhöhle. Daraufhin stellte sie der Pfarrer von Kiwiten in der Pfarrkirche auf. Wiederum war sie am darauf folgenden Tag verschwunden. Da man sie erneut dort fand, wo die Kinder sie zuerst entdeckt hatten, erkannte der fromme Priester darin einen Wunsch des Himmels und baute dort eine kleine Kapelle. Schon bald besuchten viele Menschen diese Stätte, um vor dem wunderbarem Bild zu beten. Die Legende berichtet weiter, dass die Figur später gestohlen und zerstört wurde, dennoch blieb die Kapelle eine Stätte der besonderen Verehrung der Gottesmutter. 

Erste sichere Zeugnisse gibt es im 17. Jahrhundert. Als im Drei0igjährigen Krieg dem ganzem Ermland große Gefahren drohten, rief der damalige Bischof von Ermland, Mikolaj Szyszkowski, seine Gläubigen auf, zur Erlangung und Bewahrung des Friedens eine Kirche zu Ehren Mariens, der Mutter des Friedens, zu erbauen. Besonders der Norden - so auch die Diözese Ermland - hatte unter dem Angriff der protestantischen Schweden zu leiden. Von 1626 bis 1629 besetzten die Schweden die eroberten Küstengebiete. Das Gebiet der ermländischen Diözese war durch Kriege, Kontributionen und Seuchen stark mitgenommen. Nachdem im Jahre 1635 Friede eingekehrt war, errichtete Bischof Mikolaj Szyszkowski von 1639 bis 1641 die in schwerer Kriegsnot gelobte Kirche als "Friedenstempel der allerseligsten Jungfrau Maria zu Springborn". Die Errichtung des Gotteshauses an dieser Stelle wurde begünstigt durch den Glauben der dort Wohnenden an die wundertätige Eigenschaft der Quelle und durch das Auffinden der Gnadenfigur der Gottesmutter in der alten Eiche. Der Bischof wählte gerade diesen Ort, da zu dieser Zeit der schwerkranke Sohn des Bürgermeisters auf die Fürbitte der Gottesmutter von Springborn geheilt wurde und der Pilgerstrom an diesem Gnadenort immer mehr zunahm. 

Zwei Steintafeln mit deutscher und lateinischer Inschrift, die sich außen an den Steinportalen der Kirche befinden, erinnern an diese Ereignisse und den Bau der Kirche als Weihegeschenk für den erlangten Frieden. Eigens für diese Kirche - und als Ersatz für die gestohlene und zerstörte Elfenbeinfigur - brachte Bischof Mikolaj Szyszkowski eine Kopie des Bildes "Maria Salus Populi Romani" (Maria, Heil des römischen Volkes) aus der Kirche Santa Maria Maggiore in Rom mit, dass der Hand des Evangelisten Lukas zugeschrieben wird. Mit der Fürsorge für den Gnadenort wurden Franziskaner betraut. Seit 1772 wurde das Wallfahrtsleben von seiten der preußischen Regierung stark eingeschränkt. 1810 erfolgte die Enteignung des Klosters im Zuge der Säkularisation. 1826 starb der letzte Franziskaner im Kloster Springborn, worauf der Wallfahrtsort offiziell geschlossen wurde. Obwohl noch immer Pilger nach Springborn kamen, bedeutete dies den Niedergang des ehemals blühenden religiösen Lebens.  

Da Preußen mit dem Sakralbau nichts anzufangen wusste, gab es das Kloster nach 15 Jahren auf Bitten des Bischofs Josef von Hohenzollern in einem schlechten Zustand an die Kirche zurück. 1841 feierten viele Tausend Gläubige in einer Heiligen Messe die Wiedereröffnung des Wallfahrtsortes. 1870 kamen Missionare aus Köln vom Orden des hl. Vinzenz von Paul, die aber bereits nach drei Jahren wegen der Auseinandersetzungen im Kulturkampf nach Frankreich ausgewiesen wurden. Danach wurden Diözesanpriester mit der Wallfahrtsseelsorge betraut. Erst nach dem Ersten Weltkrieg kamen 1920 wieder Franziskaner aus Schlesien nach Springborn. Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938 wurden österreichische Bischöfe von den Nationalsozialisten in Springborn interniert. In der Folge des Zweiten Weltkriegs wurde das Ermland polnisch. Der Großteil der deutschen Bevölkerung musste dieses Gebiet - die Heimat - durch Flucht, Vertreibung oder Aussiedlung verlassen.  

1952 wurde das Kloster von der polnischen Regierung beschlagnahmt. In dieser Zeit diente das Kloster als Gefängnis für Kardinal Stefan Wyszynski. 1956 erhielt die Diözese das Kloster zurück und 1957 wurde die Ordensgemeinschaft der Marianer mit der Sorge für das Kloster und die Wallfahrt betraut. Das Kloster blieb jedoch offiziell bis 1972 in staatlichen Besitz, so dass die Ordensgemeinschaft für die Benutzungsrechte bezahlen musste. An Stelle des Geldes wurden vom Staat Baustoffe, Maschinen, Vieh, persönliche Gegenstände u.a. beschlagnahmt. Erst seit das Kloster 1972 in den Besitz der Marianer übergegangen ist, wurde es möglich mit den Renovierungsarbeiten zu beginnen, die bis heute noch nicht abgeschlossen werden konnten.  

Am 19. Juni 1983 krönte Papst Johannes Paul II. das Gnadenbild wegen seiner großen religiösen Bedeutung im Ermland und darüber hinaus. Die Kirche Maria Heimsuchung in Springborn wurde am 19. Mai 1987 zur Würde einer "Basilika Minor" erhoben (siehe Foto unten links).

 

Unter der Silberhaube sieht das berühmte Madonnengemälde so aus (rechts)
 

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Eine wahrhaft große Vergangenheit hat dieses kleine Kloster und seine Kirche, finde ich. Wie viele Wirren des Schicksals und der Politik Europas hat es durch den tiefen Glauben der ermländischen und masurischen Menschen überstanden?  

Wir schließen uns der Klosterführung an, auch wenn wir die polnischen Erklärungen des Paters nicht verstehen (was ja auch nicht nötig ist, da wir vor 10 Jahren eine kleine „Privatführung“ erlebten). In der Zelle des Kardinal Wyszynski endet die Sightseeingtour.

In der Zeit vom 12. Oktober 1953 bis zum 6. Oktober 1954 wurde der damalige Primas von Polen Stefan Kardinal Wyszynski (kleines Foto rechts)  im Kloster Springborn gefangen gehalten. Der Kardinal wußte nicht, daß sein Gefängnis das Kloster Springborn war und hat in dieser Zeit das Gnadenbild nie gesehen. Er fühlte aber eine innige Verbundenheit mit der Gottesmutter an diesem Ort und übergab sich am 8. Dezember 1953 der Mutter Gottes als "ihr Knecht". Diese Zeit der Gefangenschaft hat er nicht vergessen. Als Zeichen der Verbundenheit schickte er am 18. Mai 1977 seinen Rosenkranz nach Springborn, der heute das Gnadenbild ziert. Die Räume, in denen Primas Wyszynski interniert war, sind für Besucher zugänglich. Zu Ehren von Stefan Kardinal Wyszynski hat sein Nachfolger, Primas Josef Kardinal Glemp, 1982 einen Epitaph in der Kirche aufstellen lassen.

Nachdem die Pilger die Zelle des Kardinals verlassen haben, schnappt Günther  sich den Pater, der gerade in die Klausur entschwinden will, und stellt sich ihm vor. Er scheint so gut wie taub zu sein und erinnert sich erst an uns, als wir ihm unseren Namen aufschreiben. Dann geht ein Lächeln über sein Gesicht „o,o, o, ja, meine Freunde, Sie schreiben mir schon so oft“. Wir werden geradezu überschüttet mit Freundlichkeit, beschenkt mit Postkarten und Literatur über das Kloster.

Ich bin besonders beglückt: Wann hat in den letzten Jahren ein Mann mir so oft gesagt, dass ich eine gute, ja, eine schöne Frau bin, o,o,o, und jung!!! Da muss man nach Polen ins Kloster gehen, um endlich mal wieder mit Komplimenten überschüttet zu werden. Günther, Mann so groß, o o o, wird ermahnt, abends im Bett zu Gott zu beten, dass schöne, junge Frau soll lange leben. Möge er es beherzigen! Der Pater führt unsere Hände zusammen wie bei einer Trauung – endlich sind wir nun ein ehrbares Ehepaar mit dem Segen der Kirche!!!

Zum Essen will Pater Bonifazius seine Freunde aus Deutschland auch einladen, polnische Suppe und anderes, sagt er. Wir danken ihm, wären jedoch zu sehr in Eile, verabschieden uns, werden gesegnet und gehen noch einmal zur Kirche zurück. Fehler! In der Kirche kommt er noch einmal zu uns, wir müssen seine Gäste sein, in einer Viertelstunde wäre das Essen fertig, so lange könnten wir durch den Klostergarten wandeln. Wir ergeben uns in unser Schicksal und wandeln

Zum Schluss dürfen wir uns mit Pater Bonifazius vor dem berühmten Madonnenbild fotografieren lassen, und er erteilt uns noch mal seinen Segen für ein langes, glück-liches, gemeinsames Leben. Eigentlich dürfte jetzt nichts mehr schief gehen. Aber darüber soll man keine Witzchen machen.

Mit vollem Magen und ziemlich erheitert, aber auch gerührt über so viel Herzensgüte, setzen wir unsere Fahrt fort. Als wir durch das Klosterportal gehen, flüstert Günther: „Geh schnell und dreh dich nicht noch mal um, womöglich kommt er noch mal hinter uns her...“ 

Ein letzter Blick zurück aus sicherer Entfernung - mach's gut, Päterchen, wir werden uns sicher nicht wiedersehen.

In Heilsberg (Lidzbark Warminski) machen wir einen Zwischenstopp, um noch Klosterpost, die man uns mitgegeben hat, in den Briefkasten zu werfen, und für ein Kurzsightseeing an der wirklich gewaltigen Bischofsburg (1348).

Weiter geht’s über Guttstadt (Dobre Miasto) mit dem berühmtesten Storchennest Polens (auf dem Kegeldach eines Turmes), das wir im Vorbeifahren fotografieren, und der größten ermländischen Backsteinkirche (Domkapitelkirche) bis nach Allenstein.

 

Problemlos finden wir bei unserer Ankunft in Allenstein (Olsztyn), gleich hinter der Burg einen bewachten Busparkplatz und machen uns auf, um uns noch einmal die Altstadt anzusehen.

Parkplatz direkt hinter der Burg

Allenstein (poln. Olsztyn) wurde Mitte des XIV. Jahrhunderts von Jan von Lajsy gegründet und erhielt die Stadtrechte am 31. Oktober 1353. Ausgangspunkt war das Schloss des Klerusrates von Ermland, mit dessen Erstellung 1334 begonnen wurde.  

Die Stadt entwickelte sich somit um das Schloss, dessen Mittelpunkt es war. Das Wort Lajsy hat seinen Ursprung in der prussischer Sprache und bezeichnet das Gebiet um die Newa-Niederung, das später als Melzak und im XX. Jahrhundert als Pieniezno bekannt wurde. Zu Beginn seiner Existenz hieß der Ort Allenstein, dessen Name von der alten prussischem Bezeichnung für den Fluß Lyna - Alna (oder Alle) hergeleitet wird. Die Bevölkerung wuchs rasch und mit ihr die Stadt, die nun auch mit einer Stadtmauer umgeben wurde. In der 2. Hälfte des XIV. Jahrhunderts wurde die gotische Kirche von St. Jacob erbaut. Sie wurde bald als eines der bedeutendsten Beispiele für die gotische Baukunst in Polen bekannt. Die Stadt wuchs weiter sehr schnell, so dass der Klerusrat von Ermland am 4. Mai 1378 der weiteren Erweiterung der Stadt zustimmte. Die erweiterte Stadt formierte sich nun um die Kirche von St. Jakob. Die alte Stadt und die neue Stadt verbanden gemeinsame Stadtmauern.

 Die Stadt wurde im XV. Jahrhundert mehrmals durch Kriege zerstört. Im Jahr 1440 wurde Allenstein preußisch. Die Folge war, das aufgrund einer von außen gesteuerten Rebellion, Allenstein die Stadtrechte verlor. Dennoch erkennt die Stadt zum gleichen Zeitpunkt den polnischen König Casimir Jagielon als Oberhaupt an. Während des dreizehn Jahre währenden Kriegs wird die Stadt nicht direkt erobert. Aufgrund des Friedensabkommens von Thorn im Jahre 1466 wird Allenstein mit dem Ermland wieder polnisch. Die Stadt übernimmt die Verwaltung des Kirchenkreises von Ermland unter Aufsicht von Nicolaus Kopernikus. Zur gleichen Zeit überzieht ein weiterer Krieg den Süden von Ermland mit schlimmen Verwüstungen. Kopernikus versucht, die polisch-sprechende Bevölkerung von Masowien zu bewegen, das Land hier zu besiedeln. Der berühmte Astronom hinterlässt viele interessante Hinterlassenschaften, die bis heute erhalten blieben. Unter anderen kann man einen astronomischen Tisch im Schloss bewundern. Kopernikus markiert mit Farbzeichen die gleichlangen Frühlings- und Herbstnächte. Die Ergebnisse seiner Forschung erlauben nicht nur die Länge eines Jahres festzulegen, sondern hilft ihm auch sein Lebenswerk "über die Rotation der Himmmelskörper" (De revolutionibus orbium coelestium) zu schreiben, in dem Kopernikus zu der Erkenntnis kommt, dass sich nicht die Sonne um die Erde, sondern die Erde sich um die Sonne bewegt.  

Das nächste Jahrhundert ist durch ein schnelles Wachstum der Stadt, die sich auf der Strecke Warschau - Königsberg befindet, geprägt. Bis zur Mitte des XVII. Jahrhunderts entwickelt sich die Stadt zu einem wichtigen Handelszentrum. Die Zeit des Friedens endet mit weiteren Kriegen im XVII. und XVIII. Jahrhundert. Von 1709 - 1712 wütet die Pest. Die meisten Bürger der Stadt sterben. Von 1772 gehört die Stadt wieder zu Preußen mit nicht sehr günstigen Auswirkungen. So verfällt die Stadt. Das Schloss dient als Lagerhaus. Im Jahr 1807 besucht Napoleon Bonaparte, Kaiser von Frankreich, die Stadt und nimmt auf dem Marktplatz eine Parade der Dankbarkeit ab.  

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebt die Stadt eine Wirtschaftsblüte. Von Berlin wird eine Hauptbahnstrecke bis nach Königsberg mit Verbindung nach Morag, Szczytno, Orneta und Dzialdowo gebaut. In dieser Zeit wird Allenstein ein Zentrum der nationalen polnischen Bewegung im Ermland.  

Um die Jahrhundertwende werden viele öffentliche Gebäude erstellt, so u.a. das Rathaus im Renaissancestil und die neugotisch erbauten Kirchen vom Heiligen Herzen Jesu und von St. Joseph. In Allenstein befand sich 1920 auch das Büro des alliierten Kontrollrates, das den Volkentscheid im Ermland und in Masuren überwachte.    Aufgrund des Ergebnisses der Volksabstimmung verbleibt Allenstein bei Deutschland. Nach dem zweiten Weltkrieg gehört die stark beschädigte Stadt wieder zu Polen.    

Sehenswürdigkeiten: die spätgotische Kathedrale aus dem XV-XVI. Jahrhundert, den Palast der Bischöfe aus dem XVIII. Jahrhundert und die Überreste der Stadtmauer aus dem XIV-XV. Jahrhundert mit dem besonders bemerkenswerten Wysoka-Stadtor (in der Mitte des XIX. Jahrhunderts hatte das Tor die Funktion eines Gefängnisses; hier war Wojciech Ketrzynski, ein Historiker, Publizist, Ethikforscher und Kämpfer für die Selbstbestimmung der Bevölkerung von Ermland und Masuren, gefangen), das Rathaus aus dem XVII. Jahrhundert und die Wohnhäuser aus dem XVII-XIX. Jahrhundert.

Die größte Sehenswürdigkeit der Stadt ist das Schloss. Von 1346-1353 erbaut, besteht es aus einem Flügel auf nordöstlicher Seite des rechteckigen Hofes. Zum Schloss, umgeben von einem Wassergraben, kann man nur über die Zugbrücke von der Flussseite der Lyna gelangen. Im XV. Jahrhundert wurde der südwestliche Flügel hinzugefügt und im XVI. Jahrhundert bekam der rechteckige Turm eine runde Haube. Der Turm ist 40 Meter hoch. Auf die 12 Meter hohen Verteidigungsmauern ist eine weitere kleine Mauer gesetzt, die in kürzeren Abständen Einkerbungen trägt und die höheren Teile als kleine Türme erscheinen lassen. Die Mauern des Schlosses sind teilweise mit der Stadtmauer verbunden und bilden somit eine unüberwindbare Bastion. In dieser Zeit wird das Schloss auf Anordnung des Bischofs von Ermland, welches ihm seit 1454 unterstellt ist, vom Klerusrat verwaltet. Das bewirkt, dass von dort eine größere Einflussnahme auf die preußisch - polnischen Beziehungen genommen werden kann. 1410 wird das Schloss ohne Widerstand übergeben. Während des dreizehn Jahre dauernden Krieges sind die sich ändernden Besitzverhältnisse des Schlosses ein ständiger Konflikt, bis es 1466 unter polnische Hoheit kommt. 1521 versuchen die Deutschherren, das Schloss zu erobern, was jedoch misslingt. Von 1516-1521 verwaltet Nikolaus Kopernikus das Schloss. Im Jahr 1845 wird es renoviert, nachdem die Zugbrücke, nach dem Austrocknen des Schlossgrabens, durch einen Damm ersetzt wurde.  

Seit 1921 wird das Schloss als Museum genutzt und ist seit 1945 das Heimatmuseum von Masuren und dem Ermland.

Textfeld: Schloss

Hohes Tor

Blick durch das Stadttor

Alzes Rathaus

Gotisch und barock nachgebaute (neue) Häuser

St. Jacobus-Kathedrale

Altarraum der St. Jacobus-Kathedrale

Herz-Jesu-Kirche

Neues Rathaus

Kopernikus-Denkmal

Turm der Burg

Burganlage

Was ist wohl in den Tüten? - Pfifferlinge!

Am späten Nachmittag kommen wir auf dem Campingplatz Ukiel an, der - mit schönem Seeblick, etwa 50 m oberhalb des Jezioro Ukiel liegt. Die Zufahrt ist etwas „rumpelig“. Komisch, dass keiner etwas gesagt hat… Diesmal sind doch unsere Freunde vorgefahren. Sie hätten ja auch den hübsch gelegenen Campingplatz unten direkt am See nehmen können, an dem man kurz vorher vorbeifährt und der genug Platz für uns alle hatte.  Egal, ich zerbreche mir nicht mehr den Kopf über das, was in den Köpfen unserer Reisekollegen wohl vorgeht.

Kontakt

Anschrift:

Camping Ukiel

Olsztyn 11-041
st. Poranna 6

 

Telefon:

+4889/5238245

 

Email:

zbyszekmalag@wp.pl

Information

Eigenschaften:

Schöne Lage oberhalb des Jezioro Ukiel,  Wiesengelände, Volleyballfeld, Tischtennistische und ein Fußballplatz, deutsch-prachige Campingplatzleitung, bis zum Zentrum der Stadt Allenstein sind es ca. 6-7 km

Zusätzliches:

Grillplatz (oder Lagerfeuer) Spielplatz, Wohnmobilservice

Anfahrt PKW:

Straße 527 Richtung Morag, Ortschaft Gułkowo durchqueren, dann dem Schild Camping Ukiel folgen (Feldweg)

 

Über einen kleinen Weg mit einigen Treppenstufen gelangt man hinunter zum See. Das sandige Ufer ist sehr sauber, wir hätten eigentlich unsere Badeschuhe gar nicht anziehen müssen. In dem klaren und warmen See ist das Schwimmen nach dem heißen Tag ein Genuss.

Nach dem Bad essen wir mit Aussicht auf den See an einem der überall auf dem Gelände verteilten rustikalen Holztische ein kleines, aber feines Dinner, obwohl wir eigentlich immer noch nicht hungrig sind.

Wenig später gesellen sich die heimgekehrten Freunde zu uns, und wir sitzen zusammen, bis es allen zu kalt wird.

 


Es geht weiter mit:

Ukiel See - Osterode - Thorn (Übernachtung) - Bentschen  (Übernachtung) -  Guben (Grenzübergang) -

Spreewald (2 Übernachtungen) - Eisenach (Wanderung in der Drachenschlucht) - individuelle Heimreise