Ostküste

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Nun sind wir am Atlantik angekommen, fühlen uns fast wie die ersten Siedler nach dem langen Treck. Mir wird ganz poetisch ums Herz. -

 

Günther und Gabi - people in motion -
- on our way from ocean to ocean. -

Wer zählt die Berge, die wir bezwungen,
die Kämpfe, die wir gerungen,
die weiten Prärien, endlosen Wüsten,
die wir in sengender Hitze durchdüsten?
Chief Yellowhorse auf uns’rer Fährte
heavy an den Nerven zerrte.
Krokodilen und auch Bären
mussten wir uns gar erwehren.
Durch tiefe Sümpfe ging der Treck. -
Fällste rein, dann biste weg!

Mussten Flüsse und Seen queren,
merkwürdig Meeresgetier verzehren,
rasenden Stürmen widerstehn,
thunder, lightning und auch rain,
Günther stets auf der Suche nach Wurst,
ausgehöhlt von brennendem Durst.
Der trieb uns voran, ohne Rast, ohne Ruh‘
weiter nach Osten dem Meere zu.
Von Strapazen gezeichnet, doch heil und gesund,
tun wir beglückt es hiermit kund:

Günther und Gabi – people in motion,
finally reached the atlantic ocean!

 

In unserem Überschwang suchen wir uns ein nettes Lokal, wo wir unsere glückliche Ankunft am Atlantik bei gutem Essen und White Zinfandel (Weinkenner sagen, er wäre Mist, mir schmeckt er trotzdem!) feiern. Als wir das gemütliche Restaurant satt und zufrieden verlassen, stellen wir fest, dass der State Park geschlossen ist (Nachsaison!).

Auf einem Parkplatz am Meer, der gut beleuchtet ist, parken wir unseren Hiram und hoffen, von der Polizei nicht verjagt zu werden.

22. August

Die Übernachtung war ruhig und unbehelligt von Polizisten und anderen lästigen Menschen. Scherz beiseite: die Polizei fuhr sogar mehrmals nachts Patrouille über den Platz und passte gut auf uns auf. Am frühen Morgen fahren wir zum Beach, wo wir nach unserem Morgenbad einen ausgedehnten Strandspaziergang machen.

Anschließend gehen wir auf die Suche nach Pipi Langstrumpfs "Villa Kunterbunt", die das schwedische Ambiente für die Verfilmung der berühmten Kinderbücher Astrid Lindgrens lieferte und im viktorianischen Viertel von Amelia Island zu finden sein soll. Das Viertel mit seinen bunten Häuschen, die wirklich in einer schwedischen Kleinstadt stehen könnten, finden wir, aber die Villa Kunterbunt, so wie wir uns an sie erinnern, nicht. Einige Amerikaner, die wir befragen, wissen nicht einmal, dass es auf ihrer Insel ein Victorian Quarter gibt. Von Kultur keine Spur! Diesen Banausen drehen wir den Rücken und wenden uns dem nächsten US-Staat zu: Georgia on my mind!

Wälder, Seen, Flüsse, Sumpf – wie gehabt! Wir machen keinen Abstecher in die alte Stadt Savannah, obwohl sie uns sehr gereizt hätte. Statt dessen entscheiden wir uns für eine Besichtigung der Stadt Charleston im Bundesstaat South Carolina.

Entlang der Atlantikküste führt die Straße durch Wälder und kleine Ortschaften mit wenigen Holzhäusern, meist Mobile Homes, in denen vorwiegend Schwarze wohnen (3 Häuser, aber immer eine baptistische oder methodistische Kirche!). Autos, Boote, Spielzeug, kunterbuntes Durcheinander auf dem perfekt gemähten Rasen rund ums Häuschen. Auf den Porches (Holzveranden) Korbsessel, Hängeschaukeln, Schaukelstühle – Uncle Tom lässt grüßen. Über allem eine große Beschaulichkeit.

In Charleston angekommen, fühlen wir uns sogleich in Margret Mitchells "Vom Winde verweht" versetzt - obwohl es nicht der ort der Handlung ist. Wir wollen unser Sightseeing systematisch angehen und lassen uns erst einmal im Visitor Center beraten. Mit einem leider nicht original alten, aber gut auf old fashioned getrimmten Bus fahren wir ins historische Zentrum der alten Stadt (1680 gegründet – für Amerika ist das eine uralte Stadt!).

Der historische Stadtkern von Charleston liegt auf einer Halbinsel an jener Stelle, wo Ashley- und Cooper River zusammenfließen. Häufig waren die Charlestonianer ihrer Zeit voraus, haben für andere den Trend verdeutlicht. So wurde in Charleston 1736 die erste Feuerversicherung gegründet – die allerdings das Pech hatte, dass vier Jahre später die halbe Stadt abbrannte. In Jahr 1738 richtete ein Dr. Jhon Lehning hier den ersten professionellen Wetterdienst ein. Bereits 1775, ein Jahr bevor Thomas Jefferson die Unabhängigkeitserklärung verfasste, zogen Patrioten die amerikanische statt der britischen Flagge auf. Im Bürgerkrieg feuerten Batterien in Charleston die ersten Salven auf das vor der Küste liegende Fort Sumter, in dem Unionstruppen lagen. Nach dem verlorenen Bürgerkrieg und der Befreiung der Sklaven waren viele Familien aus Geldmangel gezwungen, ihre beschädigten Häuser zu reparieren, statt sie niederzureißen und neue aufzubauen. So besitzt Charleston heute eine einzigartige Kulisse von etwa 2000 restaurierten Gebäuden.

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Die Häuser sind überwiegend mit ihrer Schmalseite quer zur Straßenfront gebaut, Grund für diese unübliche Bauweise war die kolonial englische Abgabenordnung, welche die Grundsteuern nach der Breite der Straßenfront festlegte.

Romantisch angewandelt schlendern wir durch die kopfsteingepflasterten Straßen der Altstadt mit ihren Holz- oder Backsteinhäusern aus dem 17. – 19. Jahrhundert und bewundern die gepflegten englischen Gärten mit viel Buchsbaum und Efeu – ein Hauch von viktorianischem England. Irgendwie haben wir es uns etwas exotischer vorgestellt, aber es ist wirklich zauberhaft!

Leider drängt die Zeit schon wieder, denn wir wollen auf einem Campground in Myrtle Beach übernachten. Myrtle Beach ist ein touristischer Rummelplatz, aber der Campground "Pirateland" (Tel. 1-800-443-CAMP,   $ 21 – 23) ist ein so riesiges Parkgelände – sehr schön angelegt mit viel Blumenschmuck und zwei großen Teichen, dass man von dem hektischen Treiben außerhalb des Platzes nichts merkt. Zu jedem Campsite gehört hier ein offenes Holzhäuschen mit den in Amerika fast schon üblichen Annehmlichkeiten: Tisch und Bänke und ein Holzkohlengrill. Wir ergattern ein Plätzchen direkt an der Düne (etwas teurer) und erfreuen uns an dem Blick auf das abendliche Meer. Auch der Pool mit fast olympischen Ausmaßen findet unsere Zustimmung.

Nach einem köstlichen Abendmahl an der "Campgroundpromenade" (man defilierte freundlich grüßend in Elektroautos an uns vorüber) genießen wir lesend und schreibend die herrlich laue Abendluft.

23. August

Am nächsten Morgen verstehen wir etwas besser, warum es so viele Urlauber an diesen Ort zieht: Die Sandstrände an diesem Teil der Atlantikküste sind herrlich. Sie werden "The Grand Strand" genannt. 60 Meilen dieser Strände liegen in South Carolina mit Myrtle Beach als Zentrum. Die Stadt selbst ist ein nicht gerade sehenswerter Badeort mit vielen Hotels und Attraktionen, z.B. einer mittelalterlichen Burg (Schummel wie immer), einem Riesenrad, Wasservergnügungspark mit Wellenbad, Auto- und Wachsmuseum.

Das Wasser des Atlantiks ist herrlich blau und kalt, und das Schwimmen macht uns hungrig auf unser Frühstück. Anschließend müssen wir natürlich die Annehmlichkeiten unseres Campgrounds noch einmal nutzen und plantschen auch im Swimmingpool noch eine Runde. Dann heißt es wieder: The tour must go on! In einem RV-Markt (Camping World) von ungeahnten Ausmaßen – Günther ist ganz aus dem Häuschen! – gehen wir shoppen, versehen mit einer großen Papiertüte, auf deren gesamten Inhalt wir 10% Rabatt erhalten werden. Da staunt man, was alles so in eine Tüte passt! Monsieur kauft natürlich technischen Kleinkram, Madame Haushalts-Praktisches fürs Wohnmobil. - Jünni un Jabi in wonderworld!

Während Günther all‘ unsere soeben erstandenen Schätze verstaut bzw. bereits einbaut (ein neues geschlossenes Holzregal für Kartenmaterial), ziehe ich, mit dickem Portemonnaie versehen, in die Mall nebenan. Ergebnis: 4 Kleider für $ 96. Diagnose: Akuter Kaufrausch. Nun müssen wir uns aber sputen, weil wir endlich einmal zeitig auf unserem nächsten Campground auf Emerald Isle ankommen wollen. Einige Meilen nordöstlich von Myrtle Beach, hinter Little River, beginnt North Carolina.

Wir durchqueren die 1732 gegründete Hafenstadt Wilmington, und ich gerate in Entzücken über ein Wohnviertel mit vielfarbigen Häuschen, weißen Porches und schwarzen Mummies in leuchtend bunten Kleidern. Südstaatenromantik, wohin man schaut! Das letzte Stück der Fahrt bis Swansboro, von wo eine Brücke auf die kleine Insel im Atlantik führt, geht durch ein Camp des Marine Corps. Wir werden angehalten, kontrolliert und darauf hingewiesen, dass wir schnurstracks durch das Camp fahren sollen, was wir trotz unserer Neugier auch brav tun. Rechts und links der Straße liegen Schießfelder, manchmal sieht man einen – ausgedienten – Panzer. Spaaannend!

Unser Campground auf Emerald Isle liegt am Meer, und wir ergattern wieder einen Superstellplatz an den Dünen. Vorteil der Nachsaison! Auch diesen Campground kann man nur empfehlen, er bietet alles, was ein Camperherz begehrt und ist sehr schön angelegt (Holiday Trav-l-Park, Tel. 919-354-2250, $ 39).

Die Sonne geht gerade unter, und wir gehen im sunset light im zartrosa schimmernden Atlantik baden. Die Wellen sind für kleines Gabi riesig, aber großes Günther spielt Lifeguard und sichert sich hiermit die Sympathien für den heutigen Abend. High von diversen Adrenalinstößen entsteige ich mit Günthers Unterstützung bei inzwischen glutrotem Himmel den aufgebrachten Fluten des Atlantik, und wir wenden uns dem weniger anstrengenden, auch hier riesigen Pool zu.

Danach sind wir – Zitat Günther – "reif für ein saftiges Steak", für das wir dann allerdings kilometerweit fahren müssen, denn schöne Restaurants gibt es auf Emerald Isle weniger, Imbissbuden mehr. Die wenigen vertrauenerweckenden Essgeschäfte, die wir entdecken, sind geschlossen. - Soviel zu den Vorteilen der Nachsaison!

Wir fahren zum Festland zurück - laut Visitors Guide soll "Captain Charlie" in Swansboro Weltklasse haben. Gerade gut genug für uns, denken wir und beruhigen unsere knurrenden Mägen in der Vorfreude auf Weltklasse-Essen. Captain Charlie entpuppt sich jedoch als eine in Kunstholz verkleidete Touristenkneipe, und das Weltklassemenü schmeckt nach eingeschlafenen Füßen.

24. August

Heartbeat in the morning! Die Wellen brachen wieder über mir zusammen. Meine Nerven liegen blank! Nur ein gutes Frühstück im Sonnenschein kann mich nach diesem Morgenbad in meter- (aber sicher doch!!) hoher Brandung wieder beruhigen.

Während auf dem Campground ein methodistischer Gottesdienst mit schön gesungenen mitreißenden Spiritualgesängen abgehalten wird, paddeln wir genüsslich im Pool herum. Heute ist Sonntag, sollten wir nicht auch in die Kirche....? "Kein Zick!" (zu deutsch: keine Zeit) tönt es da schon wieder an meiner Seite.

Kurz nach 9 sind wir on the road again. Interessehalber fahren wir bis zur nördlichen Inselspitze, von wo eine Brücke hinüber nach Morehead führt. An manchen Stellen ist das Eiland höchstens 70 – 80 m breit. Außer den schönen Stränden hat Emerald Isle allerdings nicht viel zu bieten. In der Nachsaison wirkt obendrein alles etwas trostlos.

Von Morehead aus durchqueren wir den Croatan Forest, wo es noch Bären geben soll, aber uns ist keiner begegnet.

In New Bern machen wir einen Schlenker durch das Historic Center, in dem sich George Washington eine Zeitlang aufhielt, bewundern die schönen alten Häuschen und den Tyron Palace, der das erste Capitol des Staates war. Der Ort wurde 1710 von Deutschschweizern gegründet – vielleicht waren ja hugenottische Vorfahren von mir dabei, denn ein Teil unserer Familie ist nach Amerika ausgewandert). Wäre doch mal was: ein Erbonkel in den USA!

Knapp 100 Meilen nordwärts überqueren wir die Grenze von Virginia und kommen nun in eine Gegend, in der einige Schlachten des amerikanischen Bürgerkriegs stattfanden – Hinweisschilder rechts und links der Straße weisen darauf hin.

Mittags essen wir preiswert und wie gewohnt gut bei Golden Chorral. Um uns herum ist alles fein gedresst. Man kommt aus der Kirche und geht dinieren. In unseren Shorts fühlen wir uns in so viel sonntäglicher Gediegenheit etwas underdresst.

Bei der weiterfahrt führt unsere Straße durch Zuckerrohr-, Tabak- und Baumwollplantagen, und wir ent- decken manches schöne Plantation House.

Das zweite Etappenziel des heutigen Tages ist Yorktown, wo wir ehrfurchtsvoll den blutgetränkten Boden des Yorktown Battlefields betreten. Hier gingen 1781 mit der Kapitulation des britischen Kommandeurs Cornwallis vor der französisch-amerikanischen Allianz die amerikanischen Revolutionskämpfe zu Ende. Vom Visitor Center aus kann man die Kommandostellen der alliierten Befehlshaber Washington, von Steuben, Lafayette und Rochambeau betrachten. Auch das Moore House, in dem die Kapitulationsbedingungen ausgehandelt wurden, ist noch zu sehen. Hier steht also sozusagen die Urwiege der Vereinigten Staaten von Amerika.

Historisch gekleidete Soldaten erklären an diesem amerikanischen Pilgerort den Touristen den Verlauf der Schlacht. Ein sehens- und erlebenswerter Platz für jeden Amerikareisenden!

Über den Colonial Parkway, eine Straße, die zu historischen Plätzen führt, fahren wir weiter. Wir kommen an dem Ort Jamestown vorüber, wo die ersten englischen Siedler ihr hartes Leben führten (Indianer, Sümpfe, Moskitos u.a. unbequeme Lebensumstände – "ich künnt dat nit" meint Günther). Ich lese Auszüge aus der "Declaration of Indepence" vor. – Worte, die wir oft gehört, aber niemals so haben nachempfinden können wie hier.

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Über die I 64 kommen wir erst nach Richmont, das sowohl im Unabhängigkeitskrieg als auch im Sezessionskrieg stark umkämpft war, und dann nach Fredericksburg, wo George Washington aufwuchs und wo ebenfalls heftige Kämpfe im Bürgerkrieg stattfanden.

Um 18 Uhr erreichen wir the Capital City of the United States of America: Washington D.C. im Bundesstaat Maryland. Es gibt in der Metropole direkt keine Campgrounds, und wir müssen nach Osten, Richtung Annapolis fahren, wo der von uns anvisierte Campground liegt (Capitol Koa in Millersville, Tel. 410-923- 2771, $ 26; günstiger, da näher an Washington gelegen: Cherry Hill Park, Tel. 1-800-801-6449). Leider ist hier der Pool schon geschlossen. Nach dem Abendessen zeichnen wir unsere Amerikaroute bis hierher in die Karte ein. Nicht übel, weiß der Dübel, meint mein Gatte mit gewohnter Treffsicherheit.

25. August

Zum ersten Mal seit Ewigkeiten, so scheint es uns, ist der Himmel morgens bedeckt.

Beim Frühstück draußen "auf dem Hof" fährt ein Womo mit deutschem Kennzeichen auf den Platz. Günther – neugierig wie Männer, zumindest die in Wohnmobilen, sind, weiß in kürze alle Fakten: Er im Ruhestand, Womo verschifft, beide kein Wort Englisch, aber 6-Monate-Trip durch die USA. Mutig! Zumal sie schon jetzt in der ersten Woche ein Problem mit dem Fahrzeug haben.

Apropos Problem mit dem Fahrzeug: Wir haben auch eins, wir müssen einen Ölwechsel machen lassen. Also fahren wir nach dem informativen Breakfast zu Leo’s Vacation Center, wo übrigens lauter "kleine" Wohnmobile (zwischen 10 und 14 Metern oder so) herumstehen.

Am Nachmittag haben wir dann zum Glück Zeit für einen Sightseeingtrip durch die amerikanische Hauptstadt. Unser erster Eindruck von Washington – jenseits des inneren Zirkels der Macht - ist nicht besonders gut: heruntergekommene Häuser, schmutzige, schlechte Straßen und ebenso kaputte Bürgersteige wie Menschen - Penner, die in Mülleimern nach ESS- und Trinkbarem wühlen, Drogenabhängige jeden Alters. Erst nahe der National Mall wirkt alles gepflegt. In unmittelbarer Nähe des Weißen Hauses finden wir einen Busparkplatz, wo wir unser Womo abstellen können – wer hätte das gedacht?

Beruhigt gehen wir auf Fototour. Weißes Haus ("Er ist da, im Esszimmer brennt Licht!") - klick, klick - Washington Monument - klick, klick - und wieder zum Auto. Am Capitol finden wir noch leichter und näher einen Parkplatz.

Das Capitol beeindruckt uns sehr; es blickt so würdig und vornehm von seinem Hügel hinunter auf das Volk von Amerika! Im Angesicht dieses hohen Hauses hissen wir begeistert unser Stars & Stripes- Fähnchen, das wir im Supermarkt gekauft haben.

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Und dann erfüllt sich mein langgehegter Traum: Einmal auf einer Südstaatenplantage auf den Spuren von Scarlett O’Hara und Red Butler wandeln! Dafür fahren wir noch einmal zurück nach Virginia zur Woodlawn Plantation, die ein Geschenk George Washingtons an seine Stieftochter Nelly Custis war.

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Das Herrenhaus besichtigen wir, geführt von einem netten Historiker, der bedauert, nur 3 Worte Deutsch sprechen zu können, dafür aber ein sehr flüssiges ( = schnelles) Amerikanisch auf uns herunterprasseln lässt. Gut dass wir schon fast 4 Wochen im Lande sind, am Anfang hätten wir nur "Bahnhof" verstanden.

Was haben wir gelernt: George Washington, der selbst keine Kinder hatte, heiratete eine Witwe mit vier Kindern (der Vater war bei der Belagerung von Yorktown gestorben). Eine Stieftochter starb als Teenager und ein Sohn fiel im Alter von 18 Jahren auf dem Yorktown Battlefield. Nelly Custis, eines der Stiefkinder, war sehr hübsch – selbst nach heutigen Maßstäben, denke ich bei der Betrachtung ihres Bildes, und vielseitig begabt. Im elterlichen Haus, Mount Vernon, hatte sie eine schöne Jugend, doch nach ihrer Heirat mit Major Custis, einem Neffen Washingtons, musste sie einige schwere Schicksalsschläge hinnehmen. Fünf ihrer acht Kinder starben, und ihr Mann erkrankte so schwer an Gicht, dass er die Schmerzen nur unter Opium ertragen konnte, was ihm mit der Zeit alle Energie nahm. Die Plantage warf nicht viel ab. Man baute Weizen und Tabak an, die Feldarbeit wurde von Sklaven verrichtet.

Das Plantation House, erbaut vom Architekten des Capitols in Washington, William Thornton, ist zu 90% noch mit den Originalmöbeln der Familie eingerichtet. Ich finde es "Oh, so british!", aber mit einem Hauch südlicher Leichtigkeit. Ein guter Freund und häufiger Gast auf der Woodlawn Plantation war General Lafayette, der ein sohnähnliches Verhältnis zu George Washington hatte. Auch sein Zimmer ist im Originalzustand zu besichtigen.

Am Ende der Führung bitte ich unseren Guide, mich noch einmal auf die Veranda gehen zu lassen, auf der Nelly Custis stand, wenn sie wehmütig auf ihr Elternhaus Mount Vernon blickte. Als ich dort stehe, kann ich mich gut in sie hineindenken. - Ein jeder hat sein Päckchen zu tragen, da ist was dran.

Unser distinguierter Fremdenführer bedankt sich zum Schluss bei uns, es habe ihm so viel Freude gemacht, zwei Deutschen dieses für Amerikaner so geschichtsträchtige Haus nahe zu bringen. Nach dieser wirklich eindrucksvollen Führung werde ich von meinem persönlichen Guide im Park der Plantation zu einem Modellhaus geführt, dem Pope-Leighey-House. Mein fachkundiger Reisebegleiter erklärt mir, dass der weltberühmte Architekt Frank Lloyd Wright in den 20er Jahren diesen Bungalow als Mittelklassehaus entwarf. Abgesehen von den mexikanisch anmutenden, mit Glas hinterlegten Verzierungen in der hölzernen Außenfassade hätte es, finde ich jedenfalls, ein HUF-Haus sein können.

Nach diesem Abstecher ins 20. Jahrhundert wenden wir uns gleich wieder dem 18. zu und statten George Washingtons Landsitz Mount Vernon einen Besuch ab. Das Land auf dem das herrliche Haus steht, war von seinem Großvater erworben worden. Der Vater baute das Haus, welches Washington dann zum Herrenhaus mit Garten- und Parkanlagen erweiterte. Der Präsident und seine Frau sind hier begraben. Wir schauen uns das Haus und die Gartenanlagen von außen an, haben aber keine Zeit mehr, an einer Führung teilzunehmen, da wir unseren nächsten Campground noch vor Sonnenuntergang erreichen wollen.

Der Campground Bar Harbour (Tel. 410-679-0880, $ 25) liegt am Nordende der Bushbay in Abingdon (nordöstlich von Baltimore) und ist herrlich ländlich gelegen, direkt am Wasser mit schönem Blick.

Da wir seit gestern nicht geschwommen sind – shocking – freuen wir uns über den schönen und vor allem geöffneten Pool, den wir natürlich sofort aufsuchen und uns zischend darin versenken. Auf dem Weg zurück zum Womo können wir einem Krabbenfischer zuschauen, der eine Reihe der Krabbeltierchen aus seinem Fangbehälter herausholt. Wäre ein leckeres Abendessen, denke ich. Günther sieht das anders, schmeißt den Grill an und legt Steaks auf. Während des anschließenden Grilldinners genießen wir den herrlichen Bayblick und die ruhige Beschaulichkeit auf diesem wirklich schönen Campground.

Beim Blick in das Infomaterial, das ich mir im Campgroundbüro geholt habe, stelle ich fest, dass in Abingdon unsere Nelly Custis geboren wurde. So schließt sich der Kreis des heutigen Tages.

26. August

Nach gemütlichem Frühstück am Bush River, dessen Mündung in die Chesapeake Bay so breit wie ein See ist, ziehen wir weiter. Bald kommen wir an die Grenze von Delaware, das wir jedoch nach wenigen Meilen schon wieder verlassen. Nun sind wir im nächsten amerikanischen Bundesland, in New Jersey. Wir lassen Philadelphia trotz seiner wundervollen Skyline, die wir im Vorüberfahren fotografieren, im wahrsten Sinne des Wortes links liegen und treffen gegen 16 Uhr in New York ein.

http://www.newyork.com (Maps, Panramatour,viele Tipps für einen Aufenthalt in New York)

Nachdem wir einige heiße Stadtviertel von Jersey City durchfahren haben, schwindet ein wenig unsere Zuversicht, dass wir im Liberty Harbour RV-Park (Tel. 1-800-351-CAMP, $ 35) gut aufgehoben wären. Der Campground befindet sich auf dem Gelände eines Yachthafens. Im Büro erfahren wir, dass der Platz rund um die Uhr bewacht wird. Tatsächlich sitzt auf einem Wachturm im Yachthafengelände ein Security-Mann. Einigermaßen beruhigt buchen wir einen Stellplatz für zwei Nächte.

Beim Verlassen des Büros entdecke ich zu meiner größten Begeisterung, dass man von hier aus einen wunderbaren Blick auf die Statue of Liberty, Ellis Island (die Einwandererinsel bis 1954) und Manhattan hat.

Nachdem wir uns in der Nachmittagssonne etwas recreated haben, erwacht unser Tatendrang: Was machen wir am Abend in N.Y.? Schwankend zwischen New York at night aus dem 110th floor des World Trade Center und einer Sunset-Bootstour um Manhattan Island, entscheiden wir uns schließlich für den Boat trip.

Bis zur Path Station (Path ist eines der beiden U-Bahnsysteme New Yorks) müssen wir nur knapp 10 Minuten laufen, dann noch einmal umsteigen; in ca. 15 Minuten sind wir in Hoboken, wo das Sightseeing boat im Fährhafen ablegt (abendliche Sightseeing Tour mit Circle Line: $ 12, Fahrplan: im Internet unter: http://www.circleline.com ).

Zwei aufregende Stunden verbringen wir auf dem Hudson River, erleben "the lights of Manhattan coming up", schippern um die herrlich angestrahlte Freiheitsstatue herum.

Mit der Path geht es dann wieder zurück zum Liberty Harbour. Unseren Fußmarsch ersetzen wir allerdings sicherheitshalber durch eine kurze Taxifahrt ($ 6). Müde fallen wir in unser Bett mit Superaussicht (wir schauen auf die Freiheitsstatue, die zu uns herüberwinkt).

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27. August

Gestern haben wir im Campbüro eine Stadtrundfahrt (New York Tours, Tel. 201-8668894, $ 46.50 /day tour, $ 38.50 / half day tour) gebucht.

Wir müssen schon um 6 Uhr aufstehen, denn um 7.20 Uhr werden wir am Campground abgeholt. Der Bus ist nicht ganz pünktlich, wir hätten uns nicht so beeilen müssen. Da unser Platz der erste Anlaufpunkt der Tour ist, haben wir Vorzugsplätze erwischt: gleich neben dem Tour Guide.

Ich werde die Sehenswürdigkeiten New Yorks nun nicht beschreiben – dafür gibt es Reiseführer. Wir sind jedenfalls völlig aus dem Häuschen von der Atmosphäre dieser großartigen Stadt, von der wir durch die Tour einen guten ersten Eindruck bekamen.

http://www.newyork.com/vny/panorama/

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Am großartigsten ist sicherlich der Blick auf das wirtschaftliche Zentrum der Weltmacht USA, das World Trade Center mit seinen gewaltigen Twin Towers, die 109 Stockwerke hoch sind. Wie unglaublich dieses Bauwerk wirkt, merkt man am ehesten, wenn man an seinem Fundament stehend in die Höhe schaut. Die oberen Stockwerke sind oft von Wolken verhüllt.  Kommentar zum WTC.

Einige Zahlen und Fakten zum Staunen:

  • Höhe: 412 m
  • Stockwerke: 110 in beiden Türmen
  • Baujahr: 1978
  • Baukosten: 700 Mio $
  • 350 Unternehmen mit 50.000 Beschäftigten

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Im Central Park ( http://www.centralpark.org/ ) lustwandeln wir gut eine Stunde und genießen die Ruhe und Schönheit der Natur inmitten der Megastadt.

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Gegen 14 Uhr, nachdem wir vom Empire State Building ( http://www.esbnyc.com/ )
aus auf Big Apple geschaut haben, drehen wir unserer Touristenherde (in der wir mit einem französischen und einem englischen Paar die einzigen Nicht-Amis waren) den Rücken und machen uns auf, New York auf qualmenden Socken selbst zu entdecken.

Von der Battery aus, wo man einen sehr schönen Blick auf die Statue of Liberty hat, wandern wir uptown durch Greenwich Village, wo die Maler und Literaten schon seit langem ihr Zuhause haben, dann durch SoHo, wo sich in den gusseisenverzierten Fabriken und Lagerhäusern heute Galerien, künstlerische Werkstätten und Boutiquen angesiedelt haben, und schließlich über den Broadway mit seinen vielen Geschäften, Kinos und Theatern. Wir sind lange unterwegs, tätigen diverse Einkäufe. Der Herr Gemahl muss Five-O-Ones anprobieren und sogar zwei kaufen. Dockers-Polos und Calvin Klein-Socken müssen auch noch mit. Das ihm, der nichts für Marken übrig hat! – Aber wo doch alles hier sooo billig ist....
Ich will es nobler haben: unter Macy’s, das man angeblich gesehen haben muss, läuft bei mir nichts. Das Lafayette in Paris finde ich übrigens 10mal nobler! Ein Kurzarmblazer aus reiner Seide ($ 100) ist nun mein.
Nun sind wir so hungrig, dass wir beinahe New Yorker angefallen hätten. Bei der Sightseeing Tour haben wir dauernd schöne Restaurants gesehen, jetzt kein einziges! Kurz vor der völligen Auszehrung entdecken wir ein mexikanisches Lokal, urig, mit viel Ledernem (Sättel u.ä.) dekoriert, wo es uns auch ausgezeichnet schmeckt. Frisch gestärkt stürzen wir uns wieder ins schäumende Leben des Broadway.

Beim TKTS-halfprice-ticket-office an der 44th Street – inzwischen ist es 19 Uhr – warten wir nur knapp 10 Minuten (am Morgen standen hier noch Hunderte von Menschen für Karten an) und ergattern Karten für "Miss Saigon" zum halben Preis. Nicht für alle Musicals gibt es reduzierte Tickets. So ist das "Phantom der Oper" als absoluter Dauerbrenner niemals im reduzierten Kartenverkauf. Schade! Andererseits, wenn wir heute schon dem totalen Kaufrausch anheim gefallen sind, dann können wir ja hier endlich mal sparen, oder? Außerdem kennen wir das deutsche Phantom!

Unser Musical beginnt um 20 Uhr, so dass wir noch eine Stunde vergnüglich in einer Straßenbar sitzen und dem Treiben auf dem Broadway zuschauen können. Heimlich wechsle ich unter dem Tisch meine Sneakers gegen neuerstandene silberne Sandaletten aus, tune mich schnell auf dem Damenklo. Günther tauscht seine Shorts gegen die soeben erstandene 501, schon sind wir relativ fein gestylt fürs Musical.

"Miss Saigon" im Broadway Theatre (rote Samtpracht, riesiger Deckenlüster) ist mitreißend von Musik und schauspielerischer Darstellung her. Die Handlung lehnt sich an die Geschichte der Madame Butterfly in Puccinis Oper an. Glück muss man haben: Wir erleben die Erstbesetzung der "Kim": Deedee Lynn Magno. "Chris" wird dargestellt von Matt Bogart (Sohn von Humphrey?). Auch der Opernfan an meiner Seite kann da nicht meckern!

Nächtens bummeln wir dann noch über den sich allmählich leerenden Broadway und die 5th Avenue, bis wir in eine weniger belebte Gegend geraten. Von dort bewegen wir uns dann lieber unterirdisch mit der Subway und der Path weiter. Gegen 0.45 Uhr sind wir wieder in unserem Liberty Harbour, wo wir noch einen nächtlichen Foto- und Filmtermin mit dem nächtlichen Manhattan und der Freiheitsstatue haben.

28. August

Es regnet in New York, aber uns juckt das nicht, wir müssen nämlich sowieso weiter.

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Letzter Blick vom Liberty Harbour auf die New Yorker Skyline

Bei der Weiterfahrt entscheiden wir uns, über die Washington Bridge zu fahren. Hier muss man übrigens aufpassen: Fahrzeuge mit Gas an Bord haben ihre eigene Etage. Günther will es mir nicht glauben – dabei habe ich endlich mal ein Schild gesehen! Sein mangelndes Vertrauen kostet uns $ 8 (Strafe + $ 2 Mautgebühr) und einen heißen Schlenker durch eine Highwaytankstelle, um auf die richtige Spur zu gelangen.

Wir durchqueren anschließend die berühmt-berüchtigte Bronx, in der sich augenscheinlich in den letzten Jahren viel getan hat. Wir hatten sie uns schlimmer vorgestellt. Es folgen die gepflegten Stadtteile Mount Vernon und New Rochelle mit hübschen kleinen Villen und schönen Apartmenthäusern, alles recht schmuck in Grün gebettet.

Nun bewegen wir uns auf der US 1 von – meist roter – Ampel zu Ampel langsam den Long Island Sound entlang in nördlicher Richtung. Ziemlich genervt versuchen wir es nach einiger Zeit mit der I 95. – Stau! Wieder runter, umdenken: Eigentlich haben wir in der letzten Zeit genügend Wasser gesehen, also fahren wir auf dem schönen Highway 15 nordwestwärts weiter durch Connecticut, das uns vorkommt wie Cornwall oder Devon. - Die Kirchen, Häuser, Gärten alles "oh, so british"! Auch die Landschaft verdient eindeutig den Namen "New England".

Hinter Hartford schlagen wir uns in "der Büsch" (zu deutsch "in den Wald"), weil wir uns einen Campground in ländlicher Umgebung ausgesucht haben. Eigentlich würden wir gerne irgendwo gepflegt essen gehen... In Willington gibt es jedoch nicht mal eine einfache Gaststätte, dafür aber viiiiel Landschaft!

Der Campground "Moosemeadows" (Tel. 860-429-7451, $ 28) – im Wald an einem Pond gelegen, gefällt uns aber ausgesprochen gut. Er ist sehr gepflegt, verfügt über einen großen Pool, Tennisplätze und noch einige andere Annehmlichkeiten für Camper. Die Leute hier sind besonders freundlich!

Unser Womo steht direkt neben dem Pool. Natürlich ist das eine Aufforderung... Nach erfrischendem Bad und stärkendem Abendessen machen wir es uns schmökernd gemütlich.

29. August

Der Boss sagt, heute müssten wir "Strecke machen". Und was mein Boss sagt, das wird natürlich gemacht! Aber er hat natürlich auch recht, denn wir wollen Boston besichtigen.

Nach herrlichem Morgenbad im gerade gereinigten Pool machen wir uns also zügig auf die Socken. Die Sonne guckt gelegentlich verschämt durch die Wolken. – Seit wir in Neuengland sind, haben wir auch englisches Wetter. Doch – God save our gracious Queen – als wir in Boston ankommen, ist es trocken und warm.

Boston Tea Party? Von wegen! Hier sind wir auf der Boston Chaos Party! Ein riesiges Tunnelbauprojekt wird hier durchgezogen; der Verkehr geht drunter und drüber. Parkplatz? Was ist das?

Zuerst wollen wir uns den Nachbau des Schiffes ansehen, auf dem die Boston Tea Party stattfand. Nach hektischem Hin- und Herkurven durch Bostons Monsterbaustelle erreichen wir es endlich, doch ohne die geringste Chance auf einen Parkplatz. Also machen wir einen Snapshot aus dem Seitenfenster und stürzen uns todesmutig erneut ins Straßengewühl (Günthers Surviving-Strategie: ich bin viel größer als ihr!" – tatsächlich kommt er mit unserem "Kleinen" überall ganz gut durch).

Zum Glück entdecke ich einen freundlich aussehenden, von dem Chaos rundum scheinbar gänzlich unbelasteten Cop, den ich ganz lieb nach einem klitzekleinen Parkplatz für unseren Hiram frage. Gemütlich "legt" er sich in unser Beifahrerfenster und rät uns wortreich, zum "Aquarium" zu fahren. Seine Wegbeschreibung ist gut, und wir finden es sofort. Ein großer Parkplatz ist dort tatsächlich, aber nur für Leute mit Permit. Günther meint, wenn wir im angrenzenden Restaurant essen gingen, hätten wir ein Permit. Das ist mir jedoch zu windig angesichts des auf dem Verbotsschild sehr anschaulich angedrohten Abschleppmanövers.

Hoffnungsvoll spreche ich ein Faktotum an, das aus dem Lokal herauskommt. - N-jein, eher nee, und Lokal öffnen erst um 4 und überhaupt: nicht sprechen gut englisch. Den nächsten Versuch startet Günther in einem angrenzenden Büro. Der nette junge Mann erklärt ungerührt, man würde uns da abschleppen. Als er unsere tiefbetrübten Gesichter sieht, siegt der gute Mensch in ihm - er wird einmal den Geschäftsführer des Essgeschäftes fragen. Er verschwindet in der Küche, kommt schließlich mit dem Manager des – wie sich später herausstellt – Nobelrestaurants zurück. Dieser bedauert sehr, leider hätte er keinen Einfluss auf die Permits. Da könnten wir nicht stehen bleiben, der Landlord würde uns abschleppen, dieser wäre sehr "strict". - Günther kann ja soo unglücklich gucken, immer wieder murmelt er: "terrible, terrible". Es hilft: Der Chef bietet uns einen Platz vor seinem Restauranteingang an. Großzügig belohnen wir ihn mit einer Tischreservierung für 17 Uhr (obwohl unsere Mägen jetzt schon nach Füllung verlangen und es erst 14 Uhr ist).

Nun kann unsere Sightseeing Tour durch Boston beginnen. Eine gute Gelegenheit, mein neues rotes Shift-Kleid (Beutestück aus der letzten Mall, ganze $ 28) unter die Leute zu bringen...

Als erstes statten wir dem Visitor Center am Boston Common einen Besuch ab. Dort geraten wir an eine perfekt deutsch sprechende ältere Dame, die uns ausführlich Tips für unsere Besichtigung gibt und uns mit einer Menge Kartenmaterial ausstattet. Optimal finden wir übrigens das System des farbig gekennzeichneten Freedom Trails, einem 3-Meilen-Spaziergang durch Boston, der die bildungshungrigen Touristen zu 16 Plätzen von historischer Bedeutung führt (im Internet unter: http://www.nps.gov/bost/index.htm ). Man folgt einfach einer roten Linie, die entweder in Backsteinen in das Pflaster eingelegt oder auf dem Asphalt aufgemalt ist. Das Begleitmaterial aus dem Visitor Center ist so informativ, dass man sich einen zusätzlichen Stadtführer über Boston sparen kann. Unter der o.a. Adresse findet man übrigens im wesentlichen die verschiedenen Stationen des Freedom Trails.

Der Trail beginnt beim Old State House, von dessen Balkon zum ersten Mal die Declaration of Independence vorgelesen wurde. Vor dem Haus ist die Stelle gekennzeichnet, an der 5 Revolutionäre erschossen wurden.

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Wir folgen nun der roten Linie auf Bürgersteig und Straße und stehen kurz darauf vor der Faneuil Hall . Hier wird seit der Erbauung dieses Gebäudes im Jahre 1742 Markt abgehalten. Das obere Stockwerk diente 80 Jahre lang den Bostoner Bürgern als Rathaus, in dem viele politische Versammlungen der Revolutionszeit stattfanden, was der Faneuil Hall den Namen "Wiege der Freiheit" einbrachte. Der angrenzende Marktplatz ist ein beliebter Treff- punkt der Bostoner.

Der Freedom Trail führt nun durch das italienische Viertel (wo man herrliche italienische Delikatessen einkaufen kann) zum Wohnhaus Paul Reveres, eines der Helden der Revolution, dessen Ritt am 18. April 1775 mir noch lebhaft vor Augen steht – oder besser: in den Ohren klingt. nicht dass ich ihn mit erlebt hätte - so alt bin ich nun doch nicht! Die Begeisterung meiner Teenagerzeit wird in mir wach. - "Up with People", diese phantastische Show mit enthusiastischen jungen Amerikanern, hat mich damals geradezu umgehauen. Ich war - bitte sehr - Klosterschülerin auf Nonnenwerth und diese mitreißenden Songs waren das tollste, was ich in den laaangen Schuljahren auf unserer keuschen Insel im Rhein erlebte. Hier hörte ich den Namen des Silberschmiedes Paul Revere in einem Songtext zum ersten Mal.

Ziemlich laut und vor allem begeistert singe ich vor dem Paul-Revere-Haus den Refrain des Liedes:

Ride, ride though the night be cold,
ride, ride till the truth be told,
Ride, ride like that man of old,
ride like Paul Revere.

Günther schaut sich verlegen um, ob wohl jemand zuhört. Wie soll er auch meinen Enthusiasmus verstehen können? Geduldig erzähle ich ihm, von Proben meiner Gesangskunst unterlegt, die Geschichte des berühmten Rittes: Paul Revere verließ sein Haus in der Nacht des 18. April 1775 auf ein Zeichen hin (zwei leuchtende Laternen im Turm der North Church), ruderte unbemerkt aus der Stadt, lieh sich ein Pferd in Charlestown und ritt los, um Patrioten in Middlesex County vor den heranrückenden britischen Truppen zu warnen. Diese hatten in Concord Munition versteckt, wovon die Briten Wind bekommen hatten.

Derweil schlendern wir weiter auf dem Pfad der Freiheit und stehen wenig später vor der North Church, schon schmettere ich wieder los:

They saw two lanterns in the North Curch tower,
ride, ride uuh,
they knew this was to be the fateful hour,
ride, ride, uuhuuh,
for a man to ride and to alarm
ev’ry village and ev’ry farm
to awaken them and call to arm.
It was the ride of Paul Revere.

Hab‘ ich ein tolles Gedächtnis? Ich war damals 15. - Das "uuh" gibt dem ganzen übrigens besonders viel Tief- gang! Ich bin jetzt kaum noch zu bremsen. Gerade zur rechten Zeit taucht hinter der Old North Church Copp’s Hill Burying Ground auf, ein wunderbarer alter Friedhof, dessen würdige Stille auch mir gebietet, mich nun etwas würdevoller aufzuführen.

Das älteste Grab auf diesem Friedhof ist aus den Sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts. Die Inschriften der Gräber sind wundervoll und erzählen Geschichten aus längst vergangener Zeit. Von hier oben schaut man auf den Charles River, der durch die Stadt Boston fließt. Diese hervorragende Fernsicht veranlasste die Briten im 18. Jahrhundert, hier ihre Kanone aufzustellen, mit der sie die Amerikaner auf dem Bunker Hill befeuerten.

Die berühmtesten Bostoner, die hier ihre letzte Ruhestätte fanden, waren übrigens die Erbauer der USS Constitution, die wir als nächsten Punkt unseres Rundgangs ansteuern. Diese Fregatte ist eines der ältesten noch schwimmenden Kriegsschiffe. Sie wurde 1797 gebaut und hat viele Schlachten siegreich überstanden. Junge Matrosen in historischer Uniform stehen den Touristen auf dem Schiff Rede und Antwort und sehen im übrigen hübsch aus, finde ich. Günther findet das natürlich wieder einmal gänzlich unwesentlich – die müssen nicht schön sein, die sollen segeln können! Na ja, das eine schließt das andere doch nicht aus.

Wir beenden hier unseren Rundgang und setzen mit einem Fährboot über den Charles River direkt zu dem Pier, an dem unser Hiram sicher geparkt auf uns wartet – denken wir. Ha,ha, was heißt hier sicher? Günther späht hinüber zu unserem Wohnmobil und entdeckt right in front of it einen Abschleppwagen mit rotierendem Blaulicht. Der wird doch nicht??? Nichts Genaues ist zu sehen, die Landung des Fährbootes scheint Ewigkeiten zu dauern! Kaum angelegt, rennt Günther los in Richtung Womo, stellt aber, dort angekommen, erleichtert fest, dass unser Kleiner unbehelligt an seinem Platz steht. Der Abschleppwagen ist verschwunden, und wir entdecken auch keinen Violation-Zettel an der Windschutzscheibe. War ja dann wohl doch nichts!

Inzwischen hat das noble "Chart House", dessen Manager uns so freundlich unseren Parkplatz besorgt hat (jetzt sind wir ihm erst recht dankbar!) geöffnet, und wir freuen uns auf ein gutes Essen. Das nette Mädel an der Rezeption informiert uns, dass es mit unserem Wagen "no problem" gegeben habe. Na also!

Nach einem Aperitif in der schick im Kajütenstil gestylten Bar werden wir ins obere Stockwerk geleitet, wo man für uns eingedeckt hat. Wir haben einen Tisch mit Aussicht auf den Fluss und finden, dass wir gut daran getan haben, unseren Hunger so lange zu bezähmen. Bei gutem Bier und – für mich wie immer – Zinfandel studieren wir die umfangreiche Karte, die Köstliches aus dem Wasser zu bieten hat. Auch für Antifischisten, wie Günther diese Spezies bedauernswerter Menschen (zu denen er sich selbst auch zählt) nennt, ist hier einiges gebacken - oder auch gekocht.

Am Nachbartisch sitzt ein deutsches Ehepaar, das uns nach unserem Fortbewegungsmittel in den USA fragt. Günther entgegnet, dass es unten vor dem Eingang stünde. "Das große Wohnmobil, das eben abgeschleppt werden sollte?" fragen beide wie aus einem Mund. Wir gucken dumm – dümmer als sonst – und erfahren, dass unser lieber, armer, kleiner Hiram schon am Abschlepphaken hing. Der Restaurantmanager habe wie wild telefoniert und mit den Leuten diskutiert. - Mit Erfolg, wie man ja sehen kann. Während des Essens – hervor- ragend übrigens! – werfen wir von nun an immer wieder von oben Blicke auf das Dach unseres Womos. Man weiß ja nie!

Nach unserer Boston Beer and Zinfandel Party (wer trinkt schon Tee?) besteigen wir unseren von der Angel genommenen Hiram und verlassen Boston in Richtung Norden. Wir zuckeln die Ostküste entlang – es ist enorm viel Verkehr – durch Seebäder, die aussehen wie Torquay oder Brighton in merry old England.

Morgen wollen wir Peter Habitz, den Schulfreund Günthers, der uns freundlicherweise für unsere Reise ein Handy zur Verfügung gestellt hat, besuchen und callen ihn darum an, um ihm unser Kommen anzudrohen. Er wohnt mit seiner amerikanischen Frau Mary Ellen in Hinesburg/Vermont. In einem Spirituosenshop kaufen wir einen – hoffentlich guten – Champagner als Mitbringsel für den Herrn des Hauses. Für Mary Ellen wollen wir morgen einen schönen Blumenstrauß kaufen.

Unsere Campgroundsuche gestaltet sich heute ein wenig schwierig, da viele Amerikaner unterwegs sind (am Montag ist Labor Day). Auf dem ersten Platz in Old Orchard Beach, wo wir übernachten wollen, werden wir abgewiesen, aber auf dem zweiten, dem Wild Acres Camping Resort ( Tel. 207-934-2535, $ 29), der auch sehr schön gelegen ist, haben wir mehr Glück. Wir stehen unter riesigen Ahornbäumen, um uns herum sind alle Caravans mit Lampionketten illuminiert. Alles für Labor Day? Die Stimmung auf dem Platz ist volksfestartig. Das wird laut diese Nacht! In der Ferne, Richtung Scarborough, ist der Himmel ganz hell. Ist da Kirmes? – "Scarborough Fair" ? Schon wieder schmettere ich los – diesmal sind es Simon & Garfunkel, die mir mit ihrem Lied in Erinnerung kommen. Die Kassette haben wir doch dabei! Schon dröhnt es aus unserem Rekorder. Ist das schön!!!

Im riesigen beleuchteten Pool werfen wir des Tages Müh‘ und Last ab und ahlen uns anschließend im Jacuzzi. Ein Gläschen (oder zwei?) hinterher sorgt dann für die nötige Bettschwere.

30. August

Heute habe ich zum ersten Mal, seit wir amerikanischen Boden betreten haben, den Satz gesagt, den Günther in Italien so oft zu hören bekommt: "Hier könnte ich leben!"  - Die Fahrt durch New Hampshire und Vermont ist Balsam für die Seele!   Wunderschöne Seen, dichte Wälder, Hügel- und Gebirgslandschaften, zauberhafte kleine Dörfer und Städte wie aus dem Bilderbuch – lauter Doll’s Houses. Die riesigen Reklametafeln an den Straßen, wo sind die geblieben? Hier sieht man keine einzige. Wie wohltuend, dass die Landschaft einmal nicht hinter Plakat- wänden versteckt ist!

Besonders hübsch finden wir den Ort Bridgton am Long Lake, wo wir einen schönen Blumenstrauß für Mary Ellen kaufen und feststellen, dass Schnittbumen in den USA sehr viel teurer sind als bei uns. Nebenbei erstehen wir einige schöne Antiquitätchen (z.B. einen Hurricane = Glaszylinder, den man als Windschutz über einen Leuchter stülpt – aus der Kolonialzeit soll er sein, na ja.. Auch eine alte amerikanische Wasserkaraffe aus schwerem Kristall, die aussieht wie eine Blumenvase, und nach der ich seit 4 Wochen Ausschau gehalten habe, entdecken wir hier). Altes Silber kann man in Amerika übrigens sehr günstig kaufen, was wir natürlich auch getan haben (im Hinterkopf haben wir immer: Hiram ist groß, da geht viel rein!).

Das Städtchen North Conway, das wir wenig später durchqueren, gefällt uns genauso gut, auch hier gibt es ein nettes Antiquitätenlädchen... Günther jammert schon wieder! Wieso eigentlich? Verstehe ich nicht! Gegen 19 Uhr kommen wir in Hinesburg bei Burlington an. Günthers Freund hat uns eine gute Wegbeschreibung gegeben, so dass wir sein Haus ganz problemlos finden. Peter und Mary Ellen wohnen ziemlich einsam mitten im Wald und haben unser Wohnmobil sofort gehört. Als wir anhalten, kommen sie uns bereits entgegengelaufen. Ich finde beide sofort sympathisch. Das Haus könnte ich glatt adoptieren. Günther sieht mehr die amerikanischen Baumängel als die Gemütlichkeit der Einrichtung und die Originalität der Architektur. Statiker! Typisch!

Im Garten, der ein wahres Waldidyll ist, laufen Eichhörnchen und Streifenhörnchen herum. Es gibt viele Vogelarten hier, und Mary Ellen steht jeden Morgen um 6 auf, um die Vögel zu füttern.

"Unacceptable" wäre es laut Mary Ellen, wenn wir im Wohnmobil übernachten würden. Ein zauberhaftes Gästezimmer im Kolonialstil steht für uns bereit. Also ziehen wir mit unserer Zahnbürste für diese Nacht aus dem Womo aus und schlafen kolonialistisch auf einer gemütlich weichen Matratze.

31. August

Wir haben gut geschlafen auf der weichen Matratze, die allerdings so nachgiebig war, dass ich immer in die tiefe Kuhle rutschte, die Günther mit seinem wahrhaft eindrucksvollen Body machte.

Nach einem leckeren American Breakfast, das der Hausherr wieder selbst zubereitet hat, wollen unsere Gast- geber uns die schöne Umgebung zeigen. Beim Verlassen des Hauses greift Mary Ellen nach der Tageszeitung und schreit auf: "Unbelievable, Princess Di is dead!" Wir Frauen sind total geschockt! Die Männer reagieren cool – unter dem Motto "Ihr und Eure Königshäuser".

Wir fahren zum Lake Champlain, dem zweitgrößten See Amerikas und bummeln anschließend durch die Fuß- gängerzone Burlingtons, wo wir zusammen noch eine Kleinigkeit essen, bevor es Abschied nehmen heißt. Wir nehmen den beiden das Versprechen ab, uns in Bad Honnef zu besuchen, wenn sie nach Deutschland kommen, und hoffen sehr, dass sie es wahr machen werden. Nach beiderseitigem Winkewinke sind Herr und Frau Goertz wieder unterwegs.

Ojeh, gleich werden wir die Vereinigten Staaten von Amerika verlassen, der Urlaub ist fast zu Ende!

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